Suche

11/2015 92 Jahre und noch kein bisschen müde

Von adminZoZuBo ‒ 13. März 2015

92 Jahre und noch kein bisschen müde

Gertrud Bremi ist in ihrem Herzen eine Pionierin, wenn nicht gar eine Revolutionärin. Jedenfalls hat sie als Fürsorgerin gar manches völlig umgekrempelt und in Schwung gebracht.

Gertrud Bremi hat es immer interessiert anzupacken, die sichtbaren Missstände zu ändern, am besten ganz persönlich. «Das Anpacken liegt in unserer Familie», sagt sie, «wir Kinder haben das von unseren Eltern übernommen. Trotz grosser Kinderschar war meine Mutter im Frauenverein prägende Präsidentin, mein Vater Zolliker Gemeinderat.»

Gertrud Bremi, 1922 geboren, ist gemeinsam mit sieben Kindern in ihrem Elternhaus aufgewachsen: mit vier Geschwistern, zwei Cousins und einer Cousine. Denn für die Familie war es damals keine Frage, dass sie 1939 die drei Kinder in ihre Obhut nahm, nachdem die extra zur Niederkunft des dritten Kindes aus Peru angereiste Tante verstorben war.

Nach der Schule ging Gertrud Bremi, wie so viele in ihrer Zeit, für ein Jahr ins Welschland an eine Handelsschule. «Ich wohnte bei zwei älteren Fräuleins in Pension», erzählt sie, «in der Schule lernte ich Französisch und Buchhaltung – im Pensionat Manieren!» In den Ausgang zu gehen, war ihr nicht erlaubt, doch ins Kino schon. Das Taschengeld aber musste sie immer genau abrechnen und ihre Ausgaben rechtfertigen. «Ich wusste, dass mein Papa es nicht so gerne sah, dass ich so viel Geld fürs Kino ausgab», sagt sie, «da schrieb ich statt des Eintritts auch mal „Jemandem eine Freude gemacht“ in mein Heft.» Natürlich sei die Wahrheit doch ans Tageslicht gekommen und ihr dann lange vorgehalten worden. «Doch es war ja nicht gelogen», sagt sie – und der Schalk leuchtet noch heute in ihren Augen bei dieser Erinnerung.

Zurück aus dem Welschland reiste sie gleich nach Peru weiter. Der Krieg war vorbei und der Mann ihrer verstorbenen Tante, der seine kleine Tochter noch nie gesehen hatte, wollte, dass sie für die Schulzeit übers Meer zu ihm käme. Die Kleine war nun sieben – Gertrud bereits 23. Sie ging gerne mit und half ihrer Cousine, sich in der neuen Situation zu Recht zu finden. Für sie war das keine Frage: Wenn sie gebraucht wurde, war sie da. «Ein Kulturschock war’s dann aber schon», erzählt sie, «während wir in der Schweiz noch überall Kartoffeln anpflanzten – herdöpfleten – lebte mein Onkel als Witwer feudal, beschäftigte Köchinnen und Diener. Ich werde nie vergessen, wie gleich am ersten Abend mit weissen Handschuhen Crevetten serviert wurden.» Noch nie zuvor hatte sie Meeresgetier gesehen, geschweige denn gegessen!

Unerschrocken engagiert

Gertrud Bremi aber, unkompliziert und gewohnt anzupacken, fand auch in Peru schnell ihren Platz. Sie begleitete ihre Cousine in die Schweizer Schule, sah sich da ein wenig um und meldete dem Direktor der Schule gleich, was sie vermisste: den Koch- und Handarbeitsunterricht! Ein solcher müsse dringlich eingerichtet werden. Sie muss diese Forderung mit grosser Überzeugung vorgebracht haben, denn alsbald meldete sich der Direktor bei ihr und schlug ihr vor, diese Sparten doch gleich zu übernehmen und an der Schule mitzuwirken. «Ein bisschen mulmig war mir da erst schon«, sagt sie, «ich hatte doch keine Ahnung vom Unterrichten.» Doch dann fasste sie sich ein Herz, schrieb ihrer ehemaligen Handarbeitslehrerin in Zollikon einen Brief, bat um Mithilfe, organisierte Nähmaschinen und begann mit dem Unterricht. Für den Kochunterricht nahm sie die älteren Schülerinnen gar mit zu sich nach Hause. «Und ab da», sagt sie zufrieden, «war der Handarbeits- und Kochunterricht an der Schweizerschule in Peru selbstverständlich.»

So unerschrocken wie damals in Peru blieb sie ihr Leben lang. Sie war die geborene Pionierin – gewitzt, klar und organisiert einerseits, schnell gelangweilt andererseits, wenn alles mal lief. Stets hielt sie die Augen für Neues offen, das unter ihrer Führung ebenfalls in perfekte Bahnen geleitet werden könnte.

So hatte sie nach drei Jahren Peru genug. Ihre Cousine hatte sich gut eingelebt, die neuen Unterrichtsfächer waren eingeführt – es brauchte sie da nicht mehr. Sie fühlte sich frei, wieder nach Zollikon zurückzukehren. Umso mehr als sie unterdessen nun genau wusste, was sie wollte: sich weiterbilden, am liebsten an der Schule für Soziale Arbeit. Das, so dachte sie, wäre die richtige Grundausbildung für ihre geplante Pionierarbeit, wo auch immer sie diese dann einsetzen würde.

Gesagt, getan. Und dann gleich eine volle Stelle angenommen, als Fürsorgerin bei der evangelischen Kirchgemeinde Neumünster. Dass sie da bis zu ihrer Pensionierung bleiben würde, war nicht vorauszusehen. Doch so war es und blieb doch jeden Tag interessant. Denn Gertrud Bremi hat sich in all dieser Zeit mitnichten an Routinearbeiten gewöhnt – im Gegenteil. Es ist ihr mit ihrem Talent gelungen, sich innerhalb ihrer fürsorglichen Tätigkeit stets neue Aufträge zu erteilen, stets weitere Pionierfelder zu entdecken, die sie mit Köpfchen und Elan verbessern konnte.

Immer ein Schritt vor dem Fortschritt

Natürlich sprach sich das dann auch über die Stadtgrenze hinweg herum. So wurde sie zum Beispiel gebeten, sich des Kinderheims im Zollikerberg anzunehmen, das still vor sich hin «serbelte». Unerschrocken analysierte sie die Lage und strukturierte das ehemalige Kinderheim in eine moderne Krippe um. Oder man konfrontierte sie mit dem Umstand, dass es wohl für Arm und Reich Hilfe im Alter gebe, aber kein rechtes Altersheim für den Mittelstand. Darauf setzte sie sich aktiv und mit grossem Erfolg für die Altersüberbauung Inselhof im Seefeld ein. Wo sie war, ging es effizient vorwärts. Dafür sorgte sie gekonnt.

Auch im Berufsverband Sozialarbeitender Zürich wurde man auf sie aufmerksam und fragte sie gleich für den Präsidentinnenposten an. Sie nahm gerne an. Als Präsidentin hatte sie grosse Gestaltungsmöglichkeiten. Ihre besondere Gabe, die Stärken ihrer Mitmenschen zu spüren und zum Erblühen zu bringen, kam auch hier gut an. So initiierte sie beispielsweise wöchentliche Lunchs mit Vorträgen zur Weiterbildung und förderte so sowohl Grundwissen wie fachlichen Austausch unter der Zuhörerschaft. Unter ihrer Leitung sprudelten die Ideen für weitere Veranstaltungen und wurden mit Begeisterung umgesetzt.

So arbeitete sie kontinuierlich, bildete sich, gab ihr Wissen auch gerne weiter, war emsig und eifrig, doch stets im Hintergrund. Die Pensionierung setzte ihr da keine Grenze. Als Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Frauenvereins Zürich und Fachfrau für organisatorische Fragen war sie lange darüber hinaus aktiv.

Dabei war sie im Kreise ihrer grossen Familie immer aufgehoben. «Heiraten hätte ich vielleicht schon mal wollen», sagt sie, «doch das hat sich dann nicht ergeben.»Lange hat sie mit ihrer Mutter zusammen in der einen Wohnung im Elternhaus gewohnt, ihr Bruder mit seiner Familie in der andern. Später ist sie ein paar Häuser weitergezogen. Die Grossfamilie ist zahlreich, der Familienzusammenhalt stark. Besonders eng ist er im Alter wieder mit ihrer Cousine geworden. Diese wohnt, länger schon aus Peru zurück, wieder in der Schweiz. Sie treffen sich oft und telefonieren zwei- bis dreimal wöchentlich miteinander, um sich aus ihrem Alltag zu erzählen und sich über aktuelle Zeitungsmeldungen auszutauschen.

Denn auch wenn Gertrud Bremi nun bereits 92 ist, ihr Leben lang gearbeitet und ihre Ferien jeweils dazu genutzt hat, alle Kontinente zu bereisen: Ihr Interesse an der Welt hat nicht nachgelassen. Die Zeitung – die Tageszeitung wie auch den Zolliker Boten – liest sie auch heute noch nicht bloss manchmal, sondern immer. (db)

Werbung

Verwandte Artikel

Newsletter

Abonnieren Sie unseren wöchentlichen Newsletter und lesen sie die neusten Artikel einen Tag vor der Print-Veröffentlichung.

ANMELDEN

Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.