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37/2015 Eine Stimme machte den Unterschied

Von adminZoZuBo ‒ 10. September 2015

Eine Stimme machte den Unterschied

Was sich im Vorfeld abgezeichnet hatte, bestätigte sich am Mittwochabend an der Gemeindeversammlung: Über den Verkauf des Wohn- und Pflegezentrums am See wurde heftig diskutiert ­– die Entscheidung hätte knapper nicht ausfallen können.

Nach gut anderthalb Stunden sorgte eine einzige Stimme für die Entscheidung. Mit 101 Ja- zu 100 Nein-Stimmen wurde dem Verkauf des Wohn- und Pflegezentrums am See zugestimmt. Sechs schienen sich enthalten zu haben, zählte die Versammlung doch 207 Anwesende. Der Entscheidung vorausgegangen waren etliche Voten sowie ein Rückweisungs- und ein Änderungsantrag. Letzterer sah vor, dass das Grundstück an der Seestrasse 109 nicht wie vom Gemeinderat beabsichtigt zum Mindestpreis von 10 Millionen Franken an den Meistbietenden verkauft wird, sondern für 15 Millionen. Der Antragssteller war sich sicher, dass der vom Gemeinderat festgelegte Mindestpreis zu tief sei. Gemeinderat und Immobilientreuhänder Martin Hirs erläuterte daraufhin, dass gar eine Zweitmeinung eingeholt und eine Rückwärtsrechnung gemacht worden sei. Dabei rief er die Gstadstasse in Erinnerung – jene Gemeindeliegenschaft, die zu optimistisch eingeschätzt wurde und aus diesem Grund zweimal vor die Gemeindeversammlung musste. Der Gemeinderat betonte noch einmal, dass die 10 Millionen der Mindestpreis für das 3674 Quadratmeter grosse Grundstück seien, «zeigt ein Investor sich bereit mehr zu zahlen, freuen wir uns natürlich darüber.» Die Versammlung unterstützte die Ansicht des Gemeinderats zum festgelegten Mindestpreis und lehnte den Änderungsantrag mit 97 zu 36 Stimmen ab.  Der Verkauf war damit aber alles andere als beschlossene Sache: Sich besonders dagegen ins Zeug gelegt hatte sich Vera Rottenberg. Die ehemalige Bundesrichterin, die Mitglied der SP Zollikon ist, machte mehrmals an diesem Abend auf rechtliche Aspekte aufmerksam. Bereits beim ersten Traktandum, der Umzonung der Liegenschaft von der Zone für öffentliche Bauten in die Wohnzone mit mittlerer Dichte, meldete sie sich zu Wort und sprach sich dagegen aus, weil eine solche zum jetzigen Zeitpunkt nicht nötig sei. «Ein Verkauf wäre anfechtbar, weil er gegen Rechtsgrundsätze verstösst», mahnte die Juristin bereits zu diesem Zeitpunkt. Weshalb sich der Gemeinderat für eine Umzonung entschieden hatte, erläuterte zuvor der Bauvorsteher. «Durch die Umzonung in die Wohnzone mit mittlerer Dichte sind die zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten wesentlich breiter», führte er aus, «sei es am bestehenden Bau oder auch bei einem Neubau.» Weiter erklärte er, dass auch eine bisherige Nutzung in der beantragen Zone weiterhin möglich sei, ein Beispiel hierfür sei das Altersheim Tertianum, das in ebendieser Zone liegt und öffentlichen Zwecken dient. Die Umzonung einer einzigen Parzelle dürfe nicht eine Diskussion über eine Bau- und Zonenplanung der Gemeinde auslösen, weshalb es dem Gemeinderat relativ schnell klar gewesen sei, dass für die Liegenschaft Seestrasse 109 die gleiche Zone wie nebenan gewählt werden müsse. «Alles andere wäre raumplanerisch unsinnig gewesen», sagte Martin Hirs. Die Versammlung stimmte der Umzonung schliesslich mit 112 Ja- zu 72 Nein-Stimmen zu.

 

Sozialer Zweck

Nach der gutgeheissenen Umzonung begannen die Diskussionen um den Verkauf. Dass die finanzielle Lage der Gemeinde der entscheidende Punkt hierfür sei, stellte Liegenschaftenvorsteher Bernhard Ecklin von Beginn weg klar. Der Erlös der Liegenschaft dient der Entlastung des Gemeindehaushalts. «Die Gemeinde Zollikon hat in den letzten fünf Jahren rund 100 Millionen Franken ins Verwaltungsvermögen investiert, bis zum Ende der Planungsperiode in vier Jahren sind weitere Investitionen von rund 73 Millionen geplant und zum grössten Teil bereits bewilligt.» Diese hohe Investitionstätigkeit könne nicht voll aus den eigenen Mitteln finanziert werden, zeigte er auf und verwies auf die Nettoverschuldung von rund 36 Millionen Franken. «Der Verkauf der nicht mehr für Gemeindeaufgaben benötigten Liegenschaft soll zu einem substantiellen Schuldenabbau beitragen und so auch das Risiko einer künftig höheren Zinsbelastung reduzieren.» Genau daran störte sich Vera Rottenberg.  «Die Gemeinde tut so, als handle es sich hier um eine Liegenschaft, die ihr gehört und über die sie schon immer habe bestimmen können», wandte sie sich an die Versammlung und gab die Geschichte der Liegenschaft wieder, die ursprünglich zum Heinrich Ernst-Fonds gehörte, einem Sondervermögen. Ernst hinterliess seine Liegenschaft Seestrasse 109 vor 92 Jahren der Gemeinde mit der Auflage, sein Vermächtnis als Heim für alte, erholungsbedürftige oder kranke Leute einzurichten. Auf diesen sozialen Zweck kam die Juristin mehrmals zurück, denn dieser sei mit dem freihändigen Verkauf nun nicht mehr gegeben. Dass die Liegenschaft, in der ursprünglich ein kleines Heim geführt und die später durch den Einbezug benachbarter Gebäude zur heutigen «Liegenschaft am See» wurde, bereits 1969 durch die Gemeindeversammlung vom Heinrich Ernst-Fonds in das Verwaltungsvermögen der politischen Gemeinde übertragen und dafür in der Höhe der Buchwerte ein Kredit bewilligt wurde, der dem Fonds gutgeschrieben wurde, daran störte sich Vera Rottenburg nicht. «Wo das Vermächtnis liegt, ist eigentlich egal, solange die Liegenschaft noch da ist und dem Zweck dient.»

Mehrere Meinungen

Dass der Wille Heinrich Ernst stets respektiert wurde, dafür legten sich Finanzvorstand Urs Fellmann und Gemeindepräsidentin Katharina Kull-Benz ins Zeug mit ihren Ausführungen, dass die finanziellen Mittel 1970 dem allgemeinen Reservefonds für Alterswohnfürsorge zugewiesen und später für den damaligen Neubau des Altersheims Beugi verwendet wurden – seit diesem Zeitpunkt besteht der Fonds nur noch als Hülle ohne Inhalt. «Die Verwaltungs- und zivilrechtliche Seite haben wir frühzeitig und umfassend prüfen lassen», sagte die Gemeindepräsidentin und führte sogleich an, dass die Gemeindeversammlung nicht abschliessend über Rechtsfragen entscheiden könne. «Heute geht es um den Verkauf der Liegenschaft, der keine rechtliche, sondern eine politische Frage ist.» Anders sah dies noch immer die ehemalige Bundesrichterin, die abermals klarmachte, dass die Liegenschaft für sie nur zweckgebunden sei, solange sie im Verwaltungsvermögen liege. «Wenn sie aber ins Finanzvermögen kommt, wird der Stifterwille des sozialen Zwecks missachtet.» Andere Votanten der politischen Linken plädierten dafür, das Haus zu behalten, dessen künftigen Zweck zu überprüfen oder den Verkauf mit Auflagen zu versehen.

Anfechtung möglich

Ob rechtlich oder politisch – die Entscheidung am Schluss fiel mit einer Stimme Unterschied hauchdünn aus, das Nachzählen der Stimmen wurde nicht verlangt. Gemeindepräsidentin Katharina Kull-Benz sprach auf Anfrage von einem einmaligen Ergebnis. Den Stichentscheid als Präsidentin habe sie bisher noch nie geben müssen, aber auch an ein so knappes Abschneiden könne sie sich nicht erinnern. Vera Rottenburg zeigte sich enttäuscht über den Ausgang, gleichzeitig aber auch überrascht, wie knapp dieser ausfiel. Sie schliesst nicht aus, den Verkauf juristisch weiterzuverfolgen und beim Bezirksrat anzufechten. Zu keinerlei Diskussionen kam es bei der Aufhebung der Ausführungsbestimmungen über den Heinrich Ernst-Fonds sowie der Bauabrechnung für den Quartiertreff Zollikerberg. (mmw)

 

 

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