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05/2016 Verschwunden, aber nicht vergessen

Von adminZoZuBo ‒ 5. Februar 2016

Verschwunden, aber nicht vergessen

Angekündigt als Stück, das kaum jemanden unberührt aus der Aufführung gehen lässt, versprach das Theater Katerland nicht zu viel: Die wahre Geschichte «Die Verschwundenen» geht unter die Haut – und die vierzig Jahre zurückliegende Thematik ist schrecklich aktuell.

Donnerstag, 28. Januar 2016, Buenos Aires. Wie jeden Donnerstag seit dem 30. April 1977 hält die Menschenrechtsorganisation Madres de Plaza de Mayo ihre Protestkundgebung auf dem zentralen Platz in der Hauptstadt Buenos Aires ab. Das weisse Kopftuch als Kennzeichen tragend und damit die Friedfertigkeit ihres Protestes signalisierend, fordern die Menschen Wahrheit und Gerechtigkeit. Viele von ihnen haben ein Foto umgehängt von jenen, die sie suchen: ihre vermissten Kinder und Enkelkinder, deren Aufenthaltsort sie erfahren sowie die gerichtliche Verurteilung der Verantwortlichen erreichen wollen.

In Zollikon wird an diesem Tag in der Aula Buechholz auf Einladung des Kulturvereins in Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendkulturprogramm die Geschichte von Raoul gespielt – oder besser jene Federicos. Dass der Vierzehnjährige nicht nur einen anderen Namen, sondern eine komplett andere Identität hat, entdeckt er rein zufällig während eines Fernsehbeitrags über die Mütter und Grossmütter der Plaza de Mayo (Madres y abuelas de plaza de mayo). Unter ihnen ist der eiserne Grossvater, der auf der Brust das Bild seines damals zweijährigen Enkels trägt und in dem sich der vermeintliche Raoul wiedererkennt. Stück für Stück kommt dieser seiner Vergangenheit näher, erfährt, dass seine Eltern nicht seine Eltern sind. Dass der sich als sein Vater ausgebende Mann vielmehr der Mörder seiner leiblichen Eltern ist: ein Offizier in der argentinischen Militärjunta.

Unfassbares Leid

Raouls Geschichte ist eines der Schicksale jener 30 000 Menschen, die in Argentinien vor 40 Jahren zur Zeit der Militärdiktatur wegen Kritik am Regime oder Zugehörigkeit zu einer oppositionellen Gruppe verschwunden sind und die Methoden des staatlichen Terrors erfuhren: Folter, Vergewaltigung, Mord. «Um Ihrer Tochter ein Geständnis abzuringen, wurde Ihr Enkelkind an den Füssen aufgehängt und geschlagen», bekommt der Grossvater im Stück das unfassbare Leid zu hören, das seiner Tochter zugefügt wurde. Wie auf ihr Zigaretten ausgedrückt und an ihren Geschlechtsteilen Elektroden angebracht wurden, wie sie unter Wasser getaucht und vergewaltigt wurde. Später wurde die Frau, genauso wie ihr Mann, ermordet, der Sohn zur Adoption freigegeben.

Geschrieben hat das auf wahren Begebenheiten basierende Stück «Die Verschwundenen» der niederländische Autor Ad de Bont. Die Winterthurer Theatergruppe «bravebühne» hat die Geschichte unter der Regie von Taki Papaconstantinou als Jugendtheater adaptiert und vor drei Jahren zur Schweizer Erstaufführung gebracht. Seither wurde das Stück über 40 mal gespielt, häufig vor Schulklassen. Iris Bürgisser, Gründungsmitglied des Kinder- und Jugendkulturprogramms sowie Vorstandsmitglied des Kulturkreises Zollikon, sah das Theaterstück vor über einem Jahr in Thun und war begeistert: «Ein starkes Stück, das mir sehr eingefahren ist.»

Verlorene Jugend

Und wirklich: Die schockierende Wahrheit über seine Herkunft verschlägt Raoul die Sprache und das mitleidende Publikum scheint die im Saal schwebende Ungeheuerlichkeit nicht einatmen zu wollen. Was die Schauspieler Graham Smart, Katharina Bohny, Simon Alois Huber, Peter Hottinger und Cordula Sauter auf der Bühne zeigen, geht unter die Haut – ob der schrecklichen Geschichte selbst, aber auch wegen der fünf Schauspieler, die ihre Rollen eindrücklich und beklemmend spielen. Dass die nicht einfach zu verdauende Kost auch bei den Jugendlichen ankommt, bestätigen die jungen Zuschauerinnen Braida und Noëlle übereinstimmend. Zusammen mit ihrer Klasse haben die beiden 13-Jährigen das Stück am Donnerstagabend besucht. Besonders beeindruckt haben sie die Mimik und Körpersprache der Schauspieler. «Es war herzberührend», sagen sie unisono.

Donnerstag, 28. Januar 2016, Zollikon. In der Aula Buechholz wird das Stück über eine verlorene Jugend in Argentinien gespielt. Zwei Stöcke tiefer befindet sich das Durchgangszentrum, in dem über 80 Asylsuchende leben. Frauen, Männer, Kinder. Oftmals geflüchtet vor dem Krieg, der in ihrem Heimatland tobt. Krieg, der Familien auseinanderreisst und möglicherweise ebenfalls eine verlorene Jugendgeneration hinterlässt. (mmw)

 

 

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