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08/2016 «Ich brauche immer auch etwas Schärfe.»

Von adminZoZuBo ‒ 26. Februar 2016

«Ich brauche immer auch etwas Schärfe.»

Der gefeierte Schweizer Filmregisseur Rolf Lyssy wird 80. Im Interview mit dem Zolliker Boten spricht er über Erfolge und Schicksalsschläge.

Herr Lyssy, wann waren Sie das letzte Mal im Kino?

Ich war kürzlich im Lunch-Kino und sah «Spotlight» von Tom McCarthy. Das ist ein amerikanischer Film über den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Vertreter der katholischen Kirche im Boston der 50er- und 60er-Jahre. Dieser hervorragende Film hat mich sehr berührt.

Haben Sie einen Lieblingsfilm?

Ich finde alle Filme von Stanley Kubrick ausnahmslos Meisterwerke. Mir gefallen auch die Filme von Woody Allen sehr. Mein Filmvater – gleicher Jahrgang wie mein Vater – ist Billy Wilder. Europäische Favoriten sind die grossen italienischen Filmregisseure Francesco Rosi, Mario Monicelli, Vittorio de Sica und Roberto Rossellini. Auch das englische Free Cinema mit Lindsay Anderson und John Schlesinger spricht mich sehr an. Ich könnte noch viele Namen nennen. Aber einen eigentlichen Lieblingsfilm habe ich nicht.

Sieht man Sie an den Solothurner Filmtagen?

Ja, das tut man. Hin und wieder werden Filme von mir aus dem Archiv gezeigt. Letztes Jahr lief «Kassettenliebe», ein Spielfilm über Partnervermittlung mit Videokassetten. Das war ein spezieller Film, weil es der erste nach «Die Schweizermacher» war. Wir werden den Film im März neu in die Kinos bringen. Ich bin gespannt, wie das heutige Publikum reagiert.

Wieviel Filmförderung ist heute in der Schweiz nötig?

Die Schweiz ist für die Rentabilität des Filmemachens zu klein. Es gibt eigentlich keinen Film, der seine Kosten wieder einspielt. «Die Schweizermacher» ist die einzige Ausnahme. Ohne Subventionen gäbe es hierzulande keine abendfüllenden Spielfilme. Das Problem ist, dass bei diesem Fördersystem die Kommissionen lediglich auf Grund der Drehbuchlektüre ein Filmprojekt beurteilen, was in der Folge vielfach zu Fehlentscheidungen führt.

Wie hat es der alte Schweizer Film ohne Subventionen geschafft?

Das waren andere Zeiten. Es gab kein Fernsehen und die Grenzen waren zum Teil geschlossen. Zudem gab es damals seitens der Kinobetreiber Spiel- und Verleih-Garantien. Nach dem Krieg wurden die Grenzen geöffnet, und Anfang der 50er-Jahre kam das Fernsehen auf. Das Filmschaffen geriet in eine Krise. Manche erklärten es sogar für tot. Aber das ist natürlich Blödsinn. Der Kino-Film wird immer leben. Zudem gab damals tolle Schauspieler wie Emil Hegetschweiler, Heinrich Gretler und Annemarie Blanc, die das Publikum einfach sehen wollte.

Welche Beziehung haben Sie zum alten Schweizer Film?

Mit den Schauspielern im alten Schweizer Film hatte ich keine Mühe. Hegetschweiler und Gretler waren echte «Film-Stars». Aber mit den Geschichten konnte ich nicht viel anfangen. Ich habe mich immer an ausländischen Filmen orientiert. Ich denke an die tollen Filme von Elia Kazan wie «On the Waterfront» oder «Viva Zapata». Das waren die Vorbilder, denen ich nacheifern wollte. Ich sass im Kino und war einfach hingerissen (lacht).

Ein Klassiker des alten Schweizer Films ist «Polizist Wäckerli». In Ihrem Strassenfeger «Die Schweizermacher» steht wieder ein Polizist im Zentrum. Ist Max Bodmer ein Ziehsohn von Gottfried Wäckerli?

Sie sind der erste, der diese Assoziation herstellt. Schaggi Streuli gehörte ebenfalls zu diesen einnehmenden Persönlichkeiten. Ich hörte schon als Bub seine Radio-Hörspiele und sah seine Wäckerli-Filme. Für «Die Schweizermacher» musste ich einen zwiespältigen und widersprüchlichen Einbürgerungsbeamten haben. Einen, der den «Ugly Swiss» verkörpern würde und böser und sturer war als Wäckerli. Ich will die Geschichten des alten Schweizer Films nicht kritisieren. Sie liegen mir einfach nicht so. Ich bin einer, der immer etwas Schärfe braucht. Es muss etwas Satirisches und manchmal etwas Sarkastisches drin sein. Den Humor, der beisst, finde ich interessant.

Was machte «Die Schweizermacher» damals so erfolgreich?

Das Thema Einbürgerung war so noch nie abgehandelt worden. Als ich 1976 in einem Zeitungsartikel über einen Leumund-Berichterstatter las, dachte ich sofort, da liegen Dramatik, Tragik und Komik drin. Das ist dann potenziert worden durch die Besetzung. Walo Lüönd und Emil Steinberger waren die idealen Cops. Der Humor unterschied sich von dem alter Schweizer Filme, indem er würziger war und sich gleichzeitig auf ein ernstes Thema bezog. Der Bund lehnte den Film denn auch ab mit der Begründung, dass man sich über ein solches Thema nicht lustig machen dürfe.

Ich hörte damals, ein FDP-Ortsparteipräsident habe über den Film nicht lachen können.

Bei diesem Film muss man über sich selbst lachen können, sonst funktioniert es nicht. Und dass über eine Million Schweizer bereit waren, über sich selbst zu lachen, halte ich für einen Qualitätsausweis. Besagter Präsident musste nicht lachen, weil er natürlich sah, wo die Kritik ansetzte und wo er mit der Haltung von Bodmer konfrontiert war. Wenn man Bodmer aber in Situationen bringt, wo man trotzdem lachen muss, dann hat das auch etwas Befreiendes.

Verkörpert Bodmer eine Schattenfigur mit sehr viel Angst?

Das ist genau der Kern der Geisteshaltung, die zur Zeit vor allem in einer Partei zum Ausdruck kommt. Vielleicht hat der eine oder andere auch nur ein ungutes Gefühl. Es verändert sich alles, es kommen immer mehr Fremde. Die Angst kommt im politischen Programm zum Ausdruck, indem man von einer Katastrophe oder vom Niedergang redet. Das ist sehr gefährlich und führt auch in die völlig falsche Richtung. Veränderungen finden statt, ob man will oder nicht.

War der Erfolg der Schweizermacher Segen und Fluch zugleich?

Mit Erfolg umzugehen, ist etwas sehr Schwieriges. Sich im Erfolg immer noch treu zu bleiben, ist eine Arbeit, die man leisten muss und die einem nicht erspart bleibt. Erfolg zu haben ist ein starkes Gefühl, das immer wieder motiviert. Der Erfolg kann einen Menschen aber auch zerstören. Vor 18 Jahren hatte ich eine schwere Depression. Sie wurde ausgelöst durch die Erkenntnis, dass das von mir geschriebene Drehbuch nicht funktionierte. Ein halbes Jahr zuvor war zudem die Trennung von meiner Frau erfolgt. Das war einfach zu viel. Heute darf ich mich sehr glücklich schätzen, gesund zu sein. Ich tue auch etwas dafür. Durch die Genesung wurde ich wieder arbeitsfähig. Ich konzentrierte mich auf Dinge, die mir wichtig waren. Ich produzierte bescheidener und hielt mich mit Dokumentarfilmen über Wasser. Ich beschloss damals, nie wieder ein Spielfilmdrehbuch zu schreiben.

Was haben Sie als junggebliebener Wilder für Pläne?

Wenn die Finanzierung klappt, will ich im Spätsommer eine Komödie realisieren, die der Drehbuchautor Dominik Bernet mit mir zusammen geschrieben hat. Es ist ein Film zu einem ernsten Thema. «Die letzte Pointe» ist der Titel, im Hintergrund geht es um Sterbehilfe. Es ist die Geschichte einer 89-Jährigen, die grosse Angst hat, dement zu werden. Sie will die Kontrolle über sich nicht verlieren und meldet sich deshalb bei einer Sterbehilfeorganisation. Aber dann kommt die Liebe ins Spiel …

Welche Beziehung haben Sie zu Zollikon?

Ich habe von 1961 bis 1972 auf dem Zollikerberg gelebt. Es gab damals die neuen Betonelementhäuser des Architekten Hans Hubacher an der Rietholzstrasse. Auch meine Heirat und die Geburt meines Sohnes erfolgten während dieser Zeit. Heute lebe ich in Hottingen, im schönsten Zürcher Quartier und erfreue mich des Lebens.

 

Mit Rolf Lyssy sprach Daniel Frey. Daniel Frey lebt in Zollikon und leitet seine eigene Kommunikationsagentur CultureCom in Zürich. Für den Zolliker Boten schreibt er in unregelmässigen Abständen.

 

 

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