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21/2016 Efeu im Schulzimmer

Von adminZoZuBo ‒ 26. Mai 2016

Efeu im Schulzimmer

Vieles hat der Pavillon der Musikschule im Zollikerberg erlebt. Mehr als 40 Jahre lang hat dieses Objekt standgehalten, obwohl es doch nur als Provisorium für ein paar Jahre gedacht war. In ein paar Wochen wird der Pavillon nun abgerissen – das Ende einer Ära.

Gegen Ende der 1960er-Jahre entstand in der Schweiz eine Bewegung: Inspiriert vom Modell aus Deutschland, «Jugendmusikschule für alle», setzten sich Lehrpersonen dafür ein, in der Schweiz etwas Ähnliches anzubieten. Die Motivation der Bewegung war es, Musikunterricht nicht nur für wohlhabende Familien oder in Laienvereinen für volkstümliche Instrumente anzubieten, sondern ein umfassendes Unterrichtsangebot zu etablieren. 1975 entstand in Zollikon der private Verein der Musikschule Zollikon. Schon früh strebte der Verein an, das Angebot und die Anstellungsbedingungen in Zollikon dem Konservatorium Zürich anzupassen. «Man wollte auch für gute Musiklehrpersonen attraktiv sein», sagt Michael Gohl, Leiter der Musikschule Zollikon. Seit 2000 ist der Dirigent und Musikpädagoge im Amt. Vor ihm leitete Raffaele Altwegg während mehr als 20 Jahren die Zolliker Musikschule. Raffaele Altwegg war ein international bekannter Meistercellist und Solocellist im Zürcher Tonhalle-Orchester. Mit guten Kontakten zur Musikbranche brachte er die Musikbildung für die Zolliker Kinder voran, und bald schon mussten die Kinder nicht mehr ans Konservatorium, um guten Musikunterricht zu erhalten. Der 1969 erbaute Pavillon war als provisorischer Erweiterungsbau für das Schulhaus Rüterwis gebaut worden. Kurz darauf durfte aber auch die Musikschulleitung und ihr Sekretariat in den Pavillon einziehen, und bald gab es auch freie Zimmer für den Musikunterricht. Neben dem Standort im Zollikerberg hatte die Musikschule Zollikon von Anfang an auch im Dorf Unterrichtsräume – in der alten Villa an der Landstrasse 72. Ein gutes Jahrzehnt später wurde der Rüterwis-Pavillon nur noch von der Musikschule genutzt. Der Zustand des Pavillons sei schon damals nicht optimal gewesen, erinnert sich Michael Gohl. «Er wurde jedoch als Provisorium angesehen, und man sagte uns immer, es dauere nicht mehr lange, bis er abgebrochen würde». Doch die Jahre vergingen, und der Pavillon wurde weder renoviert noch abgebrochen. «Das Dach war etwa alle zwei Jahre wieder undicht, und auch bei den Fenstern drang regelmässig Wasser ein», erzählt der Musikschulleiter beim Rundgang durch den Pavillon. Die Wasserschäden sind bis heute deutlich zu erkennen. «Wir stellten dann halt einfach einen Kübel darunter, bis wieder ein Reparatur möglich war», sagt er lachend.

Mit Wollsocken im Gitarrenunterricht

Aus Geldmangel und in der Annahme, dass der Pavillon ja ein Provisorium sei, wurde bis auf kleinste Arbeiten nichts mehr repariert. 2008 durften die Wände neu gestrichen werden. In zwei Zimmern musste der Bodenbelag ersetzt werden, da die Schüler immer stolperten. Zudem wurde eine Wand gezogen, um aus einem Raum zwei zu machen. Die Hellhörigkeit der Räume forderte das Organisationstalent der Musikschulleitung, wie Michael Gohl erklärt: «Es musste jeweils gut koordiniert werden, wer neben dem Schlagzeugzimmer Unterricht hat. Da die Wände so dünn waren, war es unmöglich, im benachbarten Raum gleichzeitig Geigenunterricht zu geben.» Im gleichen Zimmer, in dem man die Wasserschäden noch deutlich erkennen kann, gibt es eine weitere Skurrilität: Mitten im Schulzimmer unter der Wandtafel hat sich einmal eine Efeuranke ihren Weg gebahnt. Der Efeustrauch sei 2008 in den Pavillon eingedrungen, erzählt der Dirigent und Musikschulleiter. Die Fenster erfüllen ihre eigentliche Funktion auch nicht mehr. Sie sind so trüb, dass man kaum erkennen kann, wie das Wetter eigentlich ist. «Uns war immer wichtig, dass wir unter allen Bedingungen unser Bestes geben und weder der Unterricht noch die Kinder unter den Räumlichkeiten leiden mussten», betont Michael Gohl. Die Lehrpersonen hätten sich immer sehr flexibel und eigenverantwortlich verhalten. Eine gewisse Kontinuität habe auch geherrscht, weil immer ein gelernter Musiker die Schule leitete. Nach Raffaele Altwegg war ad interim die Klavierlehrerin Franziska Städtler im Amt, bis Michael Gohl 2000 die Leitung übernahm.

Die grosse Leidenschaft der Lehrpersonen der Musikschule Zollikon wird deutlich, wenn Michael Gohl weitere Anekdoten erzählt, die das Lehrpersonal in den 40 Jahren im Pavillon erlebt hat. Da der Leichtbau im Winter die Kälte gut durchliess, wurde in den kalten Monaten jeweils mit dicken Wollsocken und in warmen Winterstiefeln unterrichtet. In allen Räumen wurden zudem Standheizungen aufgestellt, um die Kälte etwas einzudämmen. «Trotz seines baufälligen Zustands oder vielleicht gerade deswegen ist uns der Pavillon auch ans Herz gewachsen», stellt Michael Gohl fest. Der Kontrast zwischen den Räumlichkeiten und dem, was in ihnen geschah, sei deutlich gewesen. Die meisten Eltern, die jeweils ihre Kinder vom Musikunterricht abholten, wirkten erstaunt, was in diesen baufälligen Räumen musikalisch vollbracht werden konnte. Nun, mehr als 40 Jahre nach seinem Bau, wird der Pavillon abgerissen. Voraussichtlich wird der Neubau im Dezember 2017 fertiggestellt. Dieser wird der Musikschule Zollikon und sechs neuen Kindergärten Raum bieten. So wie sich der Efeu durch die Wände des Pavillons gekämpft hat, so haben die Mitarbeitenden der Musikschule Zollikon den Bedingungen, die ihnen dieser skurrile Pavillon auferlegt hat, all die Jahre getrotzt. Wer weiss, vielleicht war es letztlich die Musik selbst, die dem Pavillon Leben einhauchte – sodass das Provisorium derart lange bestehen konnte. (bl)

 

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