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26/2016 Das Pferdemädchen, das eine Fussballmama ist

Von adminZoZuBo ‒ 1. Juli 2016

Das Pferdemädchen, das eine Fussballmama ist

Umgeben von Pokalen, Fotos und Snacks führt Wendy Winkler-Patch seit sieben Jahren den Kiosk auf dem Sportplatz Riet. Das Herz der gebürtigen Australierin schlägt noch immer für ihr Heimatland, verloren aber hat sie es auch an ihre Kundschaft: die jungen Zolliker Fussballerinnen und Fussballer.

Wendy. Sofort fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Habe das Bild des pferdevernarrten Mädchens vor mir, dessen Haare im Wind wehen, während es der Freiheit entgegenreitet: Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde! Wie habe ich es geliebt, das Kultheftchen, das erst vor wenigen Wochen sein 30-jähriges Bestehen feierte. Die Zollikerin Wendy Winkler-Patch lacht herzhaft auf, als ich ihr sage, womit ich ihren Vornamen assoziiere. Nein, eine Pferdenärrin sei sie nicht. «Obwohl», plötzlich hält sie mitten im Satz inne, überlegt, lacht und beginnt von Neuem zu erzählen. Denn da gibt es eben doch diese eine Geschichte mit den Tieren, die für so viele Mädchen der Inbegriff von Freiheit und Abenteuer sind. In Australien war es, die Zollikerin besuchte ihren damals 70-jährigen Vater. Sein Telefon klingelte, am anderen Ende war der verzweifelte Cousin. «Da war dieses Pferd, das niemand reiten konnte», sagt Wendy Winkler-Patch und erzählt, weshalb ihr Vater, der mit Pferden aufgewachsen war, um Rat gebeten wurde. «Für mich war es aber das erste und einzige Mal, dass ich ihn im Sattel gesehen habe», fährt sie fort, und die Geschichte endet, wie man vermutet: Unter Wendys Vater wurde das Tier ganz zahm. «Vielleicht», überlegt sie laut, «ist an mir doch eine Pferdeflüsterin verloren gegangen.» Wieder dieses herzhafte Lachen, das ebenso schnell, wie es gekommen ist, einer ernsthaften Miene weicht. Sie verstehe erst jetzt, warum ihr Vater nie wollte, dass sie als Kind reiten ging. Denn gleich bei der Zolliker Wirtschaft zur Höhe befand sich früher ein Reitstall. Gerne hätte die kleine Wendy Reitstunden genommen. Doch der Vater blieb hart. «Für ihn war das kein Reiten, alle ritten ja bloss im Kreis.» Ganz anders als in Australien eben.

Relaxtes Australien

Der rote Kontinent ist Wendy Winkler-Patchs zweite Heimat. Geboren in Brisbane, ist sie in Zollikon aufgewachsen. Weil die Swissair Piloten brauchte, übersiedelte die Familie Patch zusammen mit vierzig weiteren in die Schweiz. Geplant waren fünf Jahre, doch die Eltern gingen erst im Pensionsalter zurück nach Down Under. «Mein Vater liebte die Schweiz, meine Mutter hasste sie», sagt Wendy Winkler-Patch in ihrer direkten Art. Und sie? Die 60-Jährige hält kurz inne und schaut weg. «Oh Gott, Wendy!», hätte sie hierzulande häufig zu hören bekommen. Mit ihrer direkten Art schien sie anzuecken. «In Australien ist vieles relaxter», erklärt sie, und bevor sie auf eine weitere Frage antwortet, stellt sie selbst eine: Ob ich kurzerhand mit einem Bier in der Hand bei meinen – vielleicht sogar unbekannten – Nachbarn klingeln würde? Einfach so, weil die Sonne scheint, was in Australien ja keine Seltenheit ist. Ich zögere – «Eben!», ruft sie fast schon triumphierend, «genau darum geht’s!» Schweizer seien oftmals zurückhaltender, weniger spontan und vielleicht auch etwas ernster. Sie sagt es nicht verbittert oder enttäuscht, vielmehr einfach so, wie es eben ist.

Ein Leben in Australien hätte sich Wendy Winkler-Patch gut vorstellen können. Als sie zusammen mit ihrem Ex-Mann für ein paar Jahren dort wohnte, wäre sie auch gerne geblieben. «Doch als ich schwanger wurde, sagte mein damaliger Mann zur mir: Lass uns nach Hause gehen.» Sie aber hätte sich längst in Australien zu Hause gefühlt.

Freundliche Zolliker

Viel eher als ein Pferdemädchen ist Wendy Winkler-Patch eine Fussballmama. Ihr jüngerer Sohn Sean, 27, spielt noch heute in der 1. Mannschaft des SC Zollikon. Und auch Severin, bald 31, war jahrelang auf dem Riet anzutreffen. Keine Frage also, dass auch die Mama Wendy regelmässig dort war. Den Zolliker Sportplatz kennt sie sogar von Kindsbeinen an, sind doch bereits ihre beiden Brüder dort dem Ball hinterhergejagt und auch sie selbst hat ein paar Grümpelturniere absolviert. Als im Sommer 2005 der Kiosk neben den Fussballplätzen gebaut wurde, war die Kauffrau sofort Feuer und Flamme. Doch die Pachtbedingungen seien horrend gewesen, weshalb Wendy Winkler-Patch ihr Interesse vorerst zurücksteckte. «Vor mir haben vier ihr Glück im Rietkiosk versucht, lange ausgehalten hat es keiner.» Die Verdienstmöglichkeiten seien gering, sagt sie und macht Andeutungen, dass noch immer nicht alle Bedingungen optimal sind. Klagen aber möchte sie nicht, viel lieber erzählt sie davon, was sie glücklich macht. Was ihr auch nach sieben Jahren immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert, ihr der grösste Lohn für ihre Arbeit ist. Sie erzählt nicht, sie schwärmt von ihnen: den jungen Zollikerinnen und Zollikern, die regelmässig hier kicken. «99,9 Prozent von ihnen sind hochanständig», sagt die 60-Jährige, und just in dem Moment strecken auch bereits die ersten Kinder an diesem Mittwochnachmittag die Köpfe zur Tür herein. «Sie haben heute geöffnet?», fragen sie ebenso freudig wie erstaunt.

Faire Preise

Doch die Kinder müssen sich gedulden. Unter der Woche ist der Rietkiosk nur am Abend nach den Trainings der 1. Mannschaft geöffnet sowie am Wochenende bei Matches. Bis zu neunzig Hotdogs gehen an einem Samstag über die Theke, genauso beliebt sind auch die Hamburger, deren Beilagen nach dem persönlichen Gusto selbst zusammengestellt werden können. Natürlich könnte sie die Preise etwas erhöhen, sagt die Kioskbetreiberin, doch das fände sie für einen Sportclubkiosk nicht mehr fair. Und einen solchen wolle sie führen. Nochmals fällt ihr eine Geschichte ihres Vaters ein. Kurz nach seiner Rückkehr habe dieser an der australischen Goldküste Carrara einen Golfplatz gebaut, «und zehn Dollar Eintritt verlangt», sagt sie gespielt empört. Doch so seien sie eben, die Aussies. «Wir wollen halt, dass alle mitmachen können.»
Wendy Winkler-Patch bereut es nicht, der Familie zuliebe zurück in die Schweiz gekommen zu sein. Auch wenn ihre Ehe vor wenigen Jahren in die Brüche ging. «Zollikon ist mein Zuhause», hier fühle sie sich wohl und freue sich, dass sie immer wieder jemanden antreffe, den sie kenne. Es fehlt dann jeweils nur noch das spontane Bier in der relaxten Hand. (mmw)

 

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