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28/2016 Gut gelaunt bis ins hohe Alter

Von adminZoZuBo ‒ 15. Juli 2016

Gut gelaunt bis ins hohe Alter

Emil Leuthold, 96, wohnte bis vor acht Jahren im eigenen Haus mit grossem Garten in Dübendorf. Mit vierzig hatte er es nach seinen Wünschen bauen lassen und dann erst zu dritt, dann zu zweit und zum Schluss sechs Jahre alleine bewohnt. Der Umzug in die Alterswohnung der Residenz Neumünsterpark im Zollikerberg fiel ihm überraschend leicht.

Im Rückblick scheint die Schulzeit fern. Dabei hat sie im Leben von Emil Leuthold lange gedauert: Zuerst als Schüler, später mehr als 45 Jahre als Lehrer. «Gleich an meinem ersten Schultag als Dreikäsehoch wurde mir klar, dass ich Lehrer werden wollte», sagt er, «ich kam nach Hause und begann sogleich mit Unterrichten, teilte meinem Teddybären Tatzen aus und erklärte ihm die ersten Buchstaben. Niemals mehr dachte ich daran, etwas anderes zu werden, nicht einmal Lokomotivführer!» Gerne wäre er Mittelschullehrer geworden. Doch erst musste er zum Militärdienst einrücken und das Vaterland verteidigen. Ennet der Grenze tobte der Zweite Weltkrieg. Als Rheintaler aus Altstätten wurde er dem Grenzschutz zugewiesen. «So war das», sagt er, «statt an der Universität das Studentenleben zu geniessen, hockten wir in den Drecklöchern. Das war nicht schön, und doch war es bei Weitem nicht das Schlimmste!» Schlimm sei die Angst gewesen. Die Angst, plötzlich zu Deutschland zu gehören und als Kanonenfutter in Hitlers Diensten an die Ostfront geschickt zu werden, um gegen die Sowjetunion zu kämpfen. «Wir verfolgten angespannt die Erfolge Hitlers und mussten dabei aufs Maul hocken. Die Angst frass uns innerlich auf.» Entsprechend gross war die Erleichterung, als der Krieg 1945 zu Ende war – als hätte man ein neues Leben geschenkt bekommen. Emil Leuthold begann mit 25 Jahren doch noch, Germanistik und Geschichte zu studieren, kürzte das Studium dann aber zugunsten eines Sekundarlehrerdiploms ab. Er dachte pragmatisch: Mittelschullehrstellen waren rar, Sekundarlehrer hingegen fehlten. Zudem wollte er endlich nicht nur selbstständig und unabhängig werden, sondern auch heiraten. Im Kirchenchor hatte er nämlich eine junge Frau kennengelernt und sich unsterblich in sie verliebt. Er wollte so schnell wie möglich mit ihr ein Familienleben teilen. 1951 war es so weit. Die kleine Familie zog nach Rüschlikon und später – weil man dort noch bezahlbares Land kaufen und sich ein eigenes Haus bauen konnte – nach Dübendorf. Hier lebten sie zurückgezogen und zufrieden.

Feuriger Erzähler

Emil Leuthold unterrichtete mit Herzblut. Nicht nur Geschichte, sein Lieblingsfach, sondern auch Deutsch, Latein, Französisch und Gesang. Seine Faszination für das Unterrichten nahm seit seinem eigenen ersten Schultag nie ab. Im Gegenteil. Motivation waren ihm nicht unbedingt Lehrerpersönlichkeiten – er selbst hatte gute wie schlechte erlebt und von allen viel gelernt –, sondern die Tätigkeit an sich. Er stand gerne vorne und zog die Schülerschaft in seinen Bann, was ihm vor allem in den Geschichtsstunden wunderbar gelang. «Da stand ich zuweilen auf dem Pult oben und machte mit den Fingern das Getrappel einer nahenden Armee nach, fragte, wer da im Anmarsch sei – richtig, Napoleon! – und erzählte vom Alltag der Soldaten, vom Kartenspiel, wilden Schlachten, Verwundung, Tod, aber auch Langeweile.» Erzählt er davon, kann man sich gut vorstellen, wie er damals in feurigen Eifer geriet, Detail an Detail reihte und für seine Zuhörerinnen und Zuhörer ein lebendiges Bild einer längst vergangenen Zeit schuf. Neben der Schule leitete er über all die Jahre als Dirigent einen Kirchenchor und sass als Organist in der Kirche in Gfenn bei Dübendorf, oder er komponierte zu Hause Orgelmusik. Auch seine Frau arbeitete gerne, in der Stadt auf dem Büro, während die Tochter heranwuchs, fleissig auch sie, und ihr Studium mit dem Doktorat in Psychologie abschloss. «Unsere Tochter wurde Familientherapeutin», erzählt Emil Leuthold, «sie heiratete einen griechischen Hochseekapitän, mit dem sie heute – unterdessen 72 Jahre alt – in Athen wohnt. Zu meinem Glück aber wohnt mein Enkel Leonidas mit seiner Familie gleich hier um die Ecke.» Als Leonidas klein war, sein Vater noch zur See fuhr und seine Mutter eine Praxis führte, ging er bei den Grosseltern ein und aus, was Emil Leuthold sehr genoss. Und als die kleine Familie nach Amerika zog, wo sein Schwiegersohn ein gutes Arbeitsangebot annahm, vermisste er den täglichen Kontakt. Doch die gute Beziehung hält bis heute, was mit ein Grund war, dem Tipp der Pfarrfrau zu folgen und sich die Alterswohnung im Zollikerberg anzusehen. «Es war damals Zeit», sagt er, «da meine Frau 2003 gestorben war, lebte ich bereits sechs  Jahre allein und hatte je länger, desto mehr Mühe, Haus und Garten zu pflegen. Dann wurde auch noch zweimal eingebrochen. Als mir mein Arzt dann nahelegte, meinen Fahrausweis abzugeben, sagte ich mir: Jetzt gehst du – und ich ging.» Es fiel ihm überraschend leicht. Er fühlte sich im roten Turm der Residenz Neumünsterpark des Diakoniewerks im Zollikerberg nicht bloss gleich zu Hause, sondern auch entlastet. Keinen Augenblick hat er den Umzug bereut. Gerne besucht er über Mittag das Restaurant sowie die angebotenen kulturellen Anlässe und freut sich schon lange im Voraus auf die monatlichen Treffen mit Karl Lang, dem langjährigen Präsidenten der SP Zollikon, den er über den Besuchsdienst kennengerlernt hat.

Am wichtigsten aber ist ihm das Schreiben geworden. Emil Leuthold ist froh, dass er sich dafür mit achtzig einen Computer angeschafft hat. Damals war er an Parkinson erkrankt, was ihm das Handschreiben und Orgelspielen erschwerte. Er gab das Orgelspiel und das Komponieren auf – es gibt eine wunderbare Doppel-CD mit Eigenkompositionen, ein Ohrenschmaus! – und wandte sich dem Verfassen von Texten zu. «Seither schreibe ich jeden Morgen eine Kurzgeschichte», erzählt er, «ich schreibe, was mir in den Sinn kommt – Chrut und Rüebli durenand –, mal einen Krimi, mal eine historische Geschichte, ein Familiendrama oder eine Liebesgeschichte. Ich schreibe nur für mich, und ich bin sicher: Meine Schreiberei erspart mir eine teure Therapie und hält meinen Geist fit!» Viele Seiten sind in den letzten knapp sechzehn Jahren so zusammengekommen. Zu Beginn schrieb er auch längere Sachen, doch davon ist er nun abgekommen. Auf keinen Fall möchte er etwas Unfertiges hinterlassen, das ist ihm wichtig. Ab und zu lässt er wieder eine Reihe Kurzgeschichten drucken und in kleinster Auflage zu schönen Büchern binden. In Reih und Glied stehen sie auf dem Bücherregal und zeugen von seiner ungebrochenen Erzähllust, seiner Fantasie und seiner Schaffenskraft. Sie ist es, die ihm die Zeit lebenswert macht – so, wie schon immer. (db)

 

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