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44/2016 Das Wunder von Zürich

Von adminZoZuBo ‒ 3. November 2016

«Das Wunder von Zürich»

Normalerweise befasst sich der Kulturkreis Zumikon mit den schönen Seiten des Lebens. Mit Musik, Kunst, Ausstellungen. Zum Auftakt der neuen Saison ging der Kreis ganz andere Wege: Zu Gast war der Zumiker Mediziner Peter Grob.

Als Immunologe war der Zumiker  mit den Auswirkungen des illegalen Drogenkonsums ab der 70er-Jahre in Zürich befasst. Auch mit Bildern erinnerte Peter Grob im Kirchgemeindesaal an die Drogenepidemie, die mit Konzerten von Jimi Hendrix und den Stones im Hallenstadion anfing.  Eine für ihn als Mediziner katastrophale Verbreitung von Hepatitis und Aids begann damit. Doch der Mediziner hatte auch die gesellschaftlichen Auswirkungen im Blick. Der Referent unterschied ganz klar zwischen der interessierten Studentenszene und den Drogenkranken. Da wurden Jugendhäuser eröffnet und gleich wieder geschlossen. Da gab es Lesungen und Konzerte, politische Diskussionen und immer wieder auch Krawalle.

«Und plötzlich tauchte der Gilb auf», unterstrich Peter Grob. Die Menschen liefen mit gelben Gesichtern herum. Zuvor war die Gelbsucht kein Thema gewesen.  Immer wieder zuckten die Zuhörenden zusammen, wenn der 80-Jährige Fotos zeigte, wie Männer sich die Spritze in die Kniekehle rammten, weil die Armvenen schon zu waren.  Mit lebendiger Sprache erinnerte er auch an die Arbeit der Polizei. «Während die Politiker nur redeten und redeten, waren die Polizisten gefordert und nicht selten auf unserer Seite».. Von der Gründung der ersten Drogenanlaufstelle ging es zur weltweit ersten Hepatitis-Impfung für Mediziner, Sozialarbeiter, Junkies.  Es gab insgesamt 20‘000 Impfdosen. 10‘000 gingen nach Florida, die anderen 10‘000 nach Zürich. Doch hier kamen sie kaputt an, das Serum war ins Tiefkühlfach gelegt worden. «Doch als Feind der Homosexuellen hat Ronald Reagan damals entschieden, dass Florida keinen Impfstoff bekommen soll und so erhielt Zürich auch die anderen 10‘000 Impfungen», erzählte der Arzt.

Weiter ging es zum «Akt der Verzweiflung», wie Peter Grob die Öffnung des Platzspitzes für die Drogenkranken nannte.  Er liess die Fotos an der Wand für sich sprechen. Es waren erschreckende Bilder einer düsteren Zeit. Männer und Frauen, die auch im Winter auf dem Rondell übernachteten. «Plötzlich ging ein Hautpilz um.  Wir mussten wie im Mittelalter die Decken verbrennen.» Auf der anderen Seite erinnerte er an glückliche Momente. So kam das Bauamt nicht nur regelmässig, um den ganzen Unrat zu entsorgen, oft zündeten die Männer auch Feuer an, damit die Junkies sich wärmen konnten.  «Und dann kam das Wunder von Zürich. Wir bekamen über fünf Millionen Franken für ein Pilotprojekt. Sieben Tage die Woche waren Ärzte, Sozialarbeiter und Freiwillige am Platzspitz in einem kleinen Toilettenhäuschen vor Ort und halfen 16 Stunden am Tag», erinnerte der Zumiker in seinem Vortrag.  Und er zeigte noch mehr auf: Lediglich 40 Prozent der Drogenkranken kamen damals aus der Stadt Zürich. «Als es an die Rückführung ging, wurde klar, dass auch viele Jugendliche von der Goldküste dort versackt waren.»

Doch Peter Grob war an diesem Abend nicht nur gekommen, um an die Vergangenheit zu erinnern. Er steckte den Finger auch in die gegenwärtige Wunde.  Junkies sehe man kaum noch auf den Strassen. Drogen würden privat konsumiert. Alles sei im Internet zu kaufen.  Ebenso stellte er die Verteufelung von Cannabis in Frage. «Wir sollten nicht mehr zwischen legalen und illegalen Drogen unterscheiden. So lange es Menschen gibt, werden Drogen konsumiert.  Wir sollten versuchen, die schlimmsten Folgen zu vermeiden», so sein Appell.

Und so war es fast ein bisschen komisch, als anschliessend an seinen Vortrag zum Apéro mit feinem Wein geladen wurde. Aber unterm Strich ist alles auch immer eine Frage der Dosis. (bms)


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