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3/2017 Eine Reise bis ans Ende der Welt

Von adminZoZuBo ‒ 19. Januar 2017

Eine Reise ans Ende der Welt

Im Dezember 2016 reiste der Zolliker TV-Journalist  Reto Brennwald drei Wochen lang durch die Gewässer der Antarktis. Und fühlte sich wie auf einem andern Planeten.  Für den Zolliker Zumiker Boten hält er seine Eindrücke fest.

«Krawumm!», ein harter Schlag gegen die Bordwand reisst mich aus dem Schlaf. Käpt’n Jörn Gottschalk hatte uns vorgewarnt, irgendwann sehr früh am Morgen würden wir gegen Eis schlagen. Ich schaue auf die Uhr, es ist 03.15 Uhr. «Krawumm!» knallt es erneut. Ich steige aus dem Bett, schaue aus dem Kabinenfenster knapp über Wasserhöhe. Die Sonne ist vor einer Stunde aufgegangen, leichter Nebel hüllt alles in ein fahles, magisches Licht. Eisschollen liegen auf dem milchig-blauen Wasser, am Horizont reichen Gletscher ans Meer, vollkommene Ruhe liegt über der Szenerie. Es ist der zweitletzte Tag der Reise, wir kreuzen durch die Gerlach-Strasse an der nördlichen Spitze der Antarktischen Halbinsel. Auf diesen Moment haben 150 Passagiere gewartet, auf diesen Tag im Eis, bereits stehen die ersten an der Reling und staunen. Tausende von Fotos werden heute geschossen, immer wieder glitzert das Eis in neuem Licht, immer von Neuem entlocken bizarre Eisberge «Ah’s» und «Oh’s» – es ist unmöglich, nicht zu fotografieren. Am 6. Dezember hatten wir in ­Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt, abgelegt. Durch den Beaglekanal steuerte unser Schiff, die MS Bremen, zwei Tage lang gegen Nordosten. Unsere Route führte uns zu den Falklandinseln und dann via Südgeorgien, Südorkney und Südshetland zum antark­tischen Kontinent. Schon auf den Falklandinseln übertrifft die reiche Tierwelt unsere Erwartungen. Dutzende von Eselspinguinen stehen in nächster Nähe am Strand, schnattern, baden, oder stehen stoisch im rauen Wind. Sturmvögel und Magellangänse segeln knapp über unsere Köpfe. In Stanley, der Hauptstadt, verabschieden wir uns von der Zivilisation. Das Museum zeigt eine eindrückliche Dokumentation des Falklandkriegs von 1982 zwischen Argentinien und Grossbritannien. Und im englischen Pub gibt’s ein letztes Bier. Danach sind wir zwei Tage auf See, um schliesslich im Norden von Südgeorgien zu ankern. Wie die Falklandinseln ist Südgeorgien Teil des britischen Übersee­gebiets, hat aber nur eine Handvoll Einwohner, vor allem Wissenschafter auf Forschungsstationen. Von jetzt an werden wir in Zodiac-­Booten an Land gehen, ausgerüstet mit Gummistiefeln, Überhosen und Parkas. Die Gummiboote fahren direkt auf die Strände auf, denn Anlegestellen gibt es nirgends mehr. Ein Sprung über die Seite, zwei, drei schnelle Schritte durch das knietiefe Wasser und man ist an Land. Der eine oder andere zieht dabei einen Stiefel voll arktisches Wasser raus, aber das passiert meist nur einmal … Was dann kommt, ist schwer zu beschreiben. In einer Bucht wie der St. Andrews Bay liegen schon am Strand einige hundert Pelzrobben und See-Elefanten. Dazu überall die Robbenbabys, meist erst ein paar Wochen alt. Vor allem aber: Pinguine. Königspinguine, wohin das Auge reicht. Es sind Tausende, nach Schätzungen allein in dieser Bucht 86 000 Brutpaare und ihr Nachwuchs. Dieses Heer von Pinguinen verschlägt uns die Sprache, so haben wir Natur noch nie gesehen. Und was für ein Lärm von all dem Geschnatter, Pfeifen und ­Rufen. Das ist die grosse Überraschung Südgeorgiens: ein Tier- und Landschaftsparadies, von dem fast alle von uns nie gehört hatten. Diese Abertausenden von Königspinguinen werden nicht die letzten sein. Später heissen sie Adelie-, Goldschopf- oder Zügelpinguine, aber immer fesseln sie uns mit ihrem aufrechten Gang, ihren ungelenken Bewegungen oder ihrer stoischen Ausstrahlung. Diese Landgänge, zwei-, dreimal pro Tag dauern meist eine gute Stunde, bei einer maximalen Minustemperatur von minus 1,5 Grad kein Problem. Es ist ja «Frühling» auf der Südhalbkugel, Voraussetzung, dass Schiffe überhaupt einen kleinen, mehr oder weniger eisfreien Teil der ­Antarktis befahren können. Trotzdem ist es jedes Mal ein schönes Gefühl, zurück auf die «Bremen» zu kommen. Das Kreuzfahrtschiff ist zwar eher klein, aber es bietet alles, was es für eine Expedition braucht. Speziell stark gebaut, mit der höchsten Eisfähigkeit nach den Eisbrechern, der sogenannten Eisklasse 4, und trotzdem mit allem Luxus versehen. Clubraum und Bar mit Pianist, ein Restaurant, in dem die Küchenmannschaft aus Deutschland und den Philippinen täglich ein siebengängiges Dinnermenu serviert, Sauna, geheizter Swimmingpool, Vortragsraum und Fitnessstudio. Jeder Wunsch wird den Passagieren durch die aufmerksame Crew von den Lippen abgelesen, sodass selbst ohne Antarktis allein die MS Bremen eine Reise wert wäre. «Die Reise ihres Lebens», so wird diese Expeditions-Tour angepriesen. Aber den wirklich einmaligen Charakter erhalten diese drei Wochen durch die Experten an Bord. Claude Nicollier, der Schweizer Astronaut, Benno Lüthi, der Pinguin-Experte vom Antarctic Research Trust, oder Thomas Kleiber, der SRF-Meteorologe. Wann immer es die Zeit erlaubt, referieren sie über das Klima am unwirtlichsten Ort der Welt, die Tiere der Antarktis, oder die Reparatur des Hubble-Teleskops. Und damit das alles nicht zum einen Ohr hinein- und zum andern wieder hinaustropft, greift eine Talkrunde jeden Abend in lockerer Form die Themen nochmals auf. Das sind dann nicht zuletzt die glänzenden Momente für das Seemannsgarn des Käpt’ns, die Abenteuer des Chef-Ingenieurs im Maschinenraum oder der jungen Küchenchefin aus Berlin. Langeweile, das ist ein Fremdwort auf dieser Reise, und so können wir es kaum glauben, dass diese drei unvergesslichen Wochen vorüber sind, kaum haben sie richtig angefangen. Eigentlich müsste man nächstes Jahr wieder kommen.
* Reto Brennwald ist TV-Journalist, er
war als Talkmaster im Dezember 2016 auf der MS Bremen.

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