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24/2017 Zarte Bilder und ein Sturm an Worten

Von adminZoZuBo ‒ 15. Juni 2017

Zarte Bilder und ein Sturm an Worten

Der diesjährige Kunstpreis ging an den Zolliker Schriftsteller Reto Hänny, der Förderpreis an Autorin Lea Gottheil.

Unterschiedlicher konnten die diesjährigen Preisträger des Zolliker Kunstpreises nicht sein. Auf der einen Seite Lea Gottheil mit ihren sanften Formulierungen, auf der anderen Seite Reto Hänny, der die Gäste wortgewaltig mitriss.
«Schreiben und Lesen: Das ist immer ein einsames Geschäft» hatte Moderatorin Ruth Meyerhans von der Kulturkommission in ihrer Begrüssung gesagt. Normalerweise stimmt das auch: Der Schriftsteller sitzt allein vor den zu füllenden Seiten, der Leser taucht ohne Gesellschaft in die Geschichte ab. Bei der Verleihung des diesjährigen Kulturpreises aber kam es zu einem gemeinsamen Erlebnis. Und es war eine grosse Gemeinschaft, die sich im Gemeindesaal eingefunden hatte. Die Stühle reichten nicht aus, einige Besucher machten es sich auf der Bühne bequem – und das, obwohl bestes Badi-Wetter war und zeitgleich Stan Wawrinka in Paris kämpfte. Doch nicht nur Worte und Geschichten nahmen die Besucher in Beschlag, da war auch ein unglaublicher Percussionist: Fritz Hauser war auf Wunsch von Reto Hänny vor Ort und versetzte die Luft in Schwingungen, mal ganz monoton, dann wieder wie ein Hauch oder mit einem Paukenschlag. So untermalte er auch die Lesung des Hauptpreisträgers. Reto Hänny trug eine neue Version des «Flugs» vor, einem bekannten Text, dem er einen neuen Anstrich gab. Und plötzlich vermischte sich die Szenerie. Der Protagonist, der zum ersten Mal den Ärmelkanal überquert, wird zum Preisträger. Die Ebenen verschieben sich. Der Geehrte ist plötzlich der Pilot. Mit harten Formulierungen, verschachtelten Sätzen, mit Brüchen nimmt der Autor die Zuhörer mit in die Luft, lässt sie taumeln und reisst sie mit einem Sog an Verben wieder in die Höhe. Atemlos geht es weiter in die Kindheit von Reto Hänny. Er ist wieder das Kind, das Flieger spielt, um den Tisch der Grosseltern flitzt und in den Armen der Oma landet. Der Zuhörer muss sich beeilen, um immer auf Wort- und Ballhöhe zu sein. Die Bilder haben keine Zeit zum Sacken, sie müssen sitzen. Es bleibt nur kurze Zeit, um über die ironischen Wendungen zu Schmunzeln. Reto Hänny verlangt viel von seinen Lesern, aber er gibt ihnen auch viel.

Wenn Komplexes poetisch wird

Zuvor schon hatte Lyrikerin und Dramatikerin Lea Gottheil die Besucher ganz sanft in eine andere Welt geführt, hatte sie an die Hand genommen und mit ihrem Gedicht durch eine einsame Nacht begleitet, in der eine Frau verzweifelt auf ihren Mann wartet: «Es wachsen Kakteen unterm Teppich. Mit blutigen Füssen wecke ich die Kinder». Ganz leicht klingt es, wenn sie formuliert «Die Uhr weiss nichts von meiner Angst». Aber natürlich steckt da harte Arbeit dahinter. Mit einer Lesung aus ihrem neuen ­Roman bewies die Autorin, wie haarscharf sie beobachten kann. Fast juckt es einen selbst, wenn sie von den kratzigen Kniestrümpfen schreibt, die das junge Mädchen zu besonderen Anlässen tragen muss. Poetisch und trotzdem präzise skizziert sie mit ihren Sätzen komplexe Situationen und Emotionen.
Erstaunt vernahm das Publikum, dass Lea Gottheil – die in Zollikerberg aufgewachsen ist – noch viel mehr ist als Verfasserin von Gedichten und Romanen. Sie ist auch Dramaturgin, Musikerin, Sängerin. Sie ist Schreibcoach für Jugendliche, schreibt Theaterstücke. «Und mit dieser Kraft kann sie die Geräusche der Stille hörbar machen», formulierte es Laudatorin Katja Fusek. So wird 2018 die Küsnachter «Kulisse» ein Theaterstück von Lea Gottheil, das sich mit der Reformation befasst, aufführen. (bms)

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