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51/2017 Von Sirenen, Büchern und Fehlern

Von adminZoZuBo ‒ 21. Dezember 2017

Von Sirenen, Büchern und Fehlern


Eine Weihnachtskolumne von Ravin Marday

Trotz digitalem Tsunami: Adventszeit ist Lesezeit. Zeit, gedrucktes Papier zu streicheln anstatt mit der Fingerspitze die spiegelnde Oberfläche eines smarten Rechtecks. Es gibt sie, die ruhige Bucht hinter dem Felsen, der die binären Wellen aufhält. Aber bis man sie erreicht, surft man durch verführerisches Gewässer voll von unermüdlich klingelnden, pfeifenden, zischenden Sirenen. Schnell noch die Mails und die diversen Social Apps angeschaut. «Daddy komm, spiel mit uns eine Runde Mario Kart.» Ich umschiffe das geliebte, verflixte Netflix. Zum Glück entscheidet man noch selbst, ob man einen Fernseher zuhause stehen hat. Die Geräte sind abschaltbar, nicht wie in George ­Orwells düsterem Roman «1984», in dem die Dauerberieselung den Bürger in Schach hält. Dann ist es geschafft, der Lärm und der Wellengang nehmen ab, die ruhige Bucht ist erreicht. Zufall, dass die Bucht nur ein t vom Buch entfernt ist? Entscheiden Sie selbst. Ich weiss nur, dass Adventszeit Buchzeit ist, zumindest bei uns zuhause.

Meine beiden Söhne sind acht und sechs und beherrschen die Streicheleinheiten auf Tablets und Co. bereits so gut, dass man Verletzungsgefahr beim analogen Umblättern befürchten könnte. Buchseiten schneiden nicht nur ins Hirn, sondern auch mal in den Finger. Meine Jungs unterscheiden sich nicht gross von der kindlichen Ausgabe ihres Daddy, ausser dass ihre Feinmotorik entwickelter ist und ich auf dem quasi-smarten Rechteck von damals nur herabfallende Klötzchen geschickt und immer schneller stapeln musste. Wie habe ich mich über das Tetris-Computerspiel unter dem Weihnachtsbaum gefreut! Aber zurück in die Gegenwart. Die Digital Natives in unserem Haushalt sind erfreulicherweise noch für eine Menge mehr als nur die virtuelle Welt zu begeistern. Sie spielen Fussball mit Freunden, gehen Schlittschuhlaufen mit Nonno, freuen sich jedes Mal aufs Bräteln im Wald, spielen mit ihren Drachen und anderen Tieren dies- und jenseits der Fantasie, ziehen Kerzen, basteln Geschenke, helfen beim Guetzlibacken und – Trommel­wirbel bitte – schmökern gerne in ­Büchern! Klar, am Anfang war es nicht das Wort, sondern das Bild, das sie in den Bann zog. Der Grosse liest mittlerweile meine Dekaden alten Lustigen Taschenbücher mit Donald Duck und Mickey Mouse. Auch Tierbücher sind hoch im Kurs. Asterix und Obelix, Globi und Papa Moll ebenfalls. Es macht mich stolz, dass sie sich regelmässig an einer gedruckten Geschichte erfreuen. Ich frage mich, ob dies auch so herausgekommen wäre, wenn meine Frau und ich nicht dem bibliophilen Lager angehörten und wir das Gelesene oder noch zu Lesende in einer Cloud schweben statt in Regalen und auf Nachttischchen stehen hätten. Beim Umzug fluchen meine Bücherkisten schleppenden Freunde jeweils, warum ich eigentlich trotz Wohnung wie ein Höhlenmensch leben würde, es gebe ja auch E-Books. Existierte ein Spiel mit dem Namen «Such ein Buch» und würde bei uns gespielt, es wäre vorbei, bevor es begonnen hätte.

Die Bibliothek Zollikon hat ihren Beitrag geleistet, denn bereits im Vorschulalter gingen die Buben regelmässig Bücher ausleihen, immer die maximal erlaubte Anzahl und genau wissend, wann sie sich wieder von ihnen trennen mussten und sie den nächsten Stapel holen durften. Manchmal mussten sie die Tasche zu zweit tragen, weil die Schmöker so dick und schwer waren.
Weihnachten steht vor der Tür und damit eine Familientradition: Vor der Bescherung wird eine Geschichte vorgelesen. Heuer wird die ehrenvolle Aufgabe dem älteren Sohn übertragen, der sich mächtig darauf freut. Doch welche sollen wir ihm vorlegen? Sie darf nicht zu lang und nicht langweilig sein, sonst rebellieren die Kinder, die im Angesicht der Geschenke schon so Mühe haben werden, still zuzuhören. Die Geschichte hat idealerweise einen Gedanken, eine Botschaft für Jung und Alt. Wie wär’s mit folgender Kunde: Die ruhige Bucht hilft auch gegen Cybersucht. Nein, zu moralisch. Oder: Lesen verhindert einen Job als Besen. Nein, zu elitär. Moment, ich glaub, ich hab’s! Warum nicht das letztwöchige Editorial dieses Blattes? Die Message ist gut, die Länge auch und die Schreibe sowieso, vor allem deshalb, weil sie von meiner Frau stammt. Kompliment in eine Kolumne einbauen – check! Nein, ernsthaft, Sie erinnern sich an den Lapsus von vorletzter Woche. Eine gesunde Fehlerkultur sollte man sich tatsächlich zu Herzen nehmen. Wir alle, die Chefs sowieso und auch die sich in der Öffentlichkeit der sozialen Medien vermeintlich perfekt inszenierende Jugend von heute. Fehler machen ist erlaubt, auf die Schnauze fallen ebenfalls. Solange man wieder aufsteht und versucht, es besser zu machen. Und keine Sorge, falls die Krone davongerollt ist. Der Bub in der Krippe im Stall zu Bethlehem hatte auch keine auf, und er wurde als König geboren. Frohe Festtage!

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