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45/2018 Ein Leben voller Geschichten

Von adminZoZuBo ‒ 9. November 2018

Ein Leben voller Geschichten

Während seiner Recherchen zur eigenen Familiengeschichte ist Benjamin Gassmann auf ein Findelkind gestossen. Darüber hat er einen historischen Roman geschrieben. Der ehemalige Schauspieler und Lehrer hat zudem viele weitere Geschichten zu erzählen.

Gedanken bringt Benjamin Gassmann am liebsten sofort zu Papier – respektive aufs Tablet. Auch Beobachtungen übers Gartentor an der öhestrasse hinweg oder Erlebnisse wie jenes, als der Bau des Baumhauses für den Enkel in einer Katastrophe endete und Benjamin Gassmann sich mit gebrochenem Rücken im Spital wiederfand. «Ich bin ein besserer Schreiber als Redner», meint der 76-jährige Zolliker schmunzelnd. «Dinge, die mich anregen oder die mir wichtig sind, schreibe ich gerne auf. Das kommt wahrscheinlich von der Schulzeit her, als ich meine einzigen Erfolgserlebnisse bei Aufsätzen verbuchte», erzählt er. Heute lasse er sich zudem gerne von Büchern inspirieren, von den Werken Thomas Manns oder Dostojewskis, die er am liebsten im Garten beim uralten Apfelbaum liest. Denn der Baum erinnert ihn an seinen Grossvater, der ihn gepflanzt hat. «Mich fasziniert das Wechselspiel zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit. Oft birgt eine Geschichte eine Art Geheimnis: Hat der Protagonist etwas wirklich so erlebt oder ist es Fiktion?», sinniert Benjamin Gassmann, der soeben seinen ersten historischen Roman über das Findelkind Johannes Gassmann verfasst hat.

Überraschende Wendungen

Bei intensiven Recherchen zur eigenen Familiengeschichte ist er auf das Schicksal des Findelkindes Gassmann gestossen. «Hunderte Gassmanns und Verwandte hatte ich in den Pfarrbüchern – den ergiebigsten Quellen – gefunden. Ich war bereits ins 16. Jahrhundert vorgestossen, als plötzlich ein Gassmann auftauchte, der 1752 beim Niederdorftor gefunden worden war», erzählt der Autor. Fakten von damals und mögliche Begebenheiten rund um historische Figuren wie um den Stadtarzt und Gründer der Zürcher Hilfsgesellschaft Johann Caspar Hirzel, die das Findelkind tatsächlich getroffen haben könnten, bilden die Basis des Romans. «Ich arbeitete nicht nach Konzept. Eine Szene brachte mich zur nächsten. So entstanden Wendungen, die mich selbst überraschten», so der Verfasser. «Mit dem Roman wollte ich dem vom Schicksal gebeutelten Johannes Gassmann etwas Heiterkeit schenken. Ob ich mit ihm verwandt bin, möchte ich den Leser entdecken lassen.»

Filme werden neue Geschichten. Eine Verwandtschaft ist sicherlich nicht abwegig, hört man den Schilderungen Benjamin Gassmanns über seine Familie zu, deren bäuerliche Wurzeln in Rümlang liegen und dessen Verwandtschaft mittlerweile über die ganze Welt verstreut lebt. Er selbst ist in Lindau ZH in einer Lehrerfamilie aufgewachsen. Obwohl volle Bücherregale eine Selbstverständlichkeit waren, packten ihn die vielen Geschichten damals als Kind noch nicht. Die Pfadi interessierte ihn mehr. Als Jugendlicher dann entdeckte er das Schreiben: In der Mittelschule begann er Filme wie «Orfeu Negro» oder «East of Eden» in eigenen Worten und mit seinen Gedanken versehen nachzuerzählen. «Meine Notizbücher waren stets auch ein Stück weit meine Tagebücher. Das blieb so, als ich als Lehrer arbeitete und mich auf die Lektionen vorbereitete. Ich schrieb auf, was mich beschäftigte», erklärt er, der als Jugendlicher auf keinen Fall Lehrer wie sein Vater, Gross- und Urgrossvater werden wollte, es auf Umwegen dann aber doch wurde.

Vom Schauspieler zum Lehrer

Sein Traum war die Schauspielerei. In der Kantonsschule in Winterthur wirkte er mit Begeisterung im Schultheater mit. Ein Pfadifreund empfahl ihm den Kammersprechchor Zürich, wo er in Sprechtechnik geschult und anschliessend als Schauspielschüler aufgenommen wurde. Nebenbei studierte er in Zürich Germanistik. 20-jährig zog es ihn ins Zentrum für junge Schauspieler nach München. Dort kontaktierte er Agenten und sprach an Theatern vor. Dank einem Theaterleiter aus dem fränkischen Dinkelsbühl kam seine Karriere ins Rollen. Es folgten Engagements in ganz Deutschland. In dieser Zeit lernte er auch seine Frau – eine französische Germanistik-Austauschstudentin – kennen und wurde Vater einer Tochter. «Nach sieben Jahren Schauspielerei hatte ich genug. Ich wollte auch meiner Familie das ewige Umziehen nicht mehr zumuten und fand es an der Zeit, einer anderen spannenden Tätigkeit nachzugehen», erzählt der Interviewte. Sein germanistisches Grundstudium und das Feilen an der Sprache für die Schauspielkunst legten eine Weiterbildung zum Lehrer nahe. «Wir kehrten in die Schweiz zurück, wo ich mich an der Universität Zürich zum Sekundarlehrer ausbilden liess und eine Anstellung in Bonstetten erhielt. Lehrer zu sein, war in dieser Lebensphase aushaltbar. Ich hatte ja bereits einen Beruf und konnte meinen Horizont entsprechend erweitern», so Benjamin Gassmann. Dieser andere Horizont kam bei den Schülern gut an, insbesondere auch die Theateraufführungen, auf die er mit ihnen regelmässig hinarbeitete. Fünf Jahre später löste ein Inserat für eine Lehrstelle in Santiago de Chile im jungen Ehepaar Gassmann den Wunsch aus, noch einmal aus dem Gewohnten auszubrechen. Die ­Bewerbung brachte die Familie jedoch nicht nach Südamerika, sondern nach Thailand: Benjamin Gassmann wurde Schulleiter der Schweizer Schule in Bangkok. «Wir erlebten eine enorm spannende Zeit, genossen tolle Begegnungen und abenteuerliche Reisen», erinnert er sich. Nach Ablauf des vierjährigen Mandates kehrte die Familie in die Schweiz zurück. «Wir freuten uns darauf, dass an Weihnachten die Schokolade nicht mehr schmolz.»

Paradies an der Höhestrasse

Die junge Familie fand eine neue Heimat in Affoltern am Albis. Es folgte eine Anstellung als Sekundarlehrer in Küsnacht. In dieser Zeit entschied die Erbengemeinschaft des grossväterlichen Hauses in Zollikon, dieses zu verkaufen. Benjamin Gassmann erfüllte sich 1984 einen Traum und erwarb das «kleine Paradies». «Die Ferien bei meiner Stiefgrossmutter habe ich noch in Erinnerung, wie wenn sie gestern gewesen wären. Ich habe nur schöne Bilder im Kopf von der Zeit damals als Fünfjähriger. Meinen Grossvater kannte ich leider nicht mehr. Er starb zwei Jahre, bevor ich zur Welt kam.» Das Ehepaar Gassmann lebt nun seit über 30 Jahren hier. Die erwachsene Tochter, die auf Umwegen ebenfalls Lehrerin wurde, ist längst ausgezogen. Benjamin Gassmann: «Hier sind wir zufrieden und zur Ruhe gekommen. Nach all den Umzügen, Stellenwechseln und Reisen. An der Höhestrasse gibt es genug zu beobachten. Beispielsweise wie neue Häuser dort entstehen, wo sich einst ein Mini-Eisfeld befand; wie Familien kommen und gehen und sich Schweizerdeutsch mit Hochdeutsch, Französisch, Spanisch oder Englisch vermischt. Ja, den Titel für einen Roman über die Höhestrasse habe ich bereits im Kopf.» (mpe)

 

Die Akte Gassmann – Geschichte eines Findelkindes

Der historische Roman erzählt die bewegende Geschichte des Findelkindes Johannes Gassmann, das im Winter 1752 vor dem Zürcher Niederdorftor gefunden wurde. Er kam in eine Pflegefamilie, wo es ihm nicht gut erging; er wurde Knecht in der Enge, dann in Wollishofen. Schliesslich wurde er alt und unbrauchbar auf Kartoffelsäcken wieder in die Stadt gekarrt, wo er dank einer Krankenschwester doch noch ein schönes Lebensende fand.

Die Buchvernissage findet am kommenden Mittwoch, 14. November, um 19 Uhr in der Buchhandlung Bodmer an der Stadelhoferstrasse 34 in Zürich statt. Die Lesung mit Apéro wird musikalisch begleitet von Dieter Jordi und Regina Irman. Der Eintritt ist frei.

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