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09/2019 Altes Handwerk als Lebensinhalt

Von adminZoZuBo ‒ 1. März 2019

Altes Handwerk als Lebensinhalt

Marianna Nanni-Leemann und Christian Nanni: «Wir haben Freude am Geschäft und am alten Handwerk. Es macht uns stolz, dass wir den Familienbetrieb bis heute halten konnten und ihn auch in Zeiten von Onlineshopping weiterführen dürfen.» (Bild: mpe)

Marianna Nanni-Leemann und ihr Sohn Christian führen in dritter und vierter Generation das 116-jährige Innendekorationsgeschäft ­Leemann & Co. Sie leben das Handwerk noch wie bisher, gehen aber dennoch mit der Zeit.

Es ist ein stilles, fast andächtiges Schaffen an diesem frühen Montagmorgen im Innendekorationsgeschäft Leemann & Co.: Im Atelier nähen die Wohn­textilgestalterin Alexandra Wasmer und die Lernende Rümeysa Polat sogenannte Tulpenköpfe und Gleiter an Vorhänge, während Gabi Widler, die seit 36 Jahren bei Leemann & Co. als Innendekorations-Näherin arbeitet, Stoff für ­einen Kissenbezug abmisst. Gleich nebenan werkelt das Vater-­Sohn-Gespann Becker in der Werkstatt: Während Vater Gunnar Stoff an die Armlehnen eines Fauteuils heftet, bringt sein Sohn Justin bei einer Récamiere gewaltige Sprungfedern an. «Nach einigen Schnupperlehren hat ihm der Beruf als Polsterer am besten gefallen. Da es in der Branche nicht allzu viele Lehrstellen gibt, absolviert er nun die vierjährige Lehre bei seinem Vater», schmunzelt Christian Nanni, der das Geschäft in der vierten Generation zusammen mit seiner Mutter Marianna Nanni-Leemann führt.

In die Lebensaufgabe hineingewachsen

Wie seine Mutter ist auch Christian Nanni im heute 389 Jahr alten «Haus auf dem Rain» am Dufourplatz gross geworden und in das dort ansässige Geschäft Leemann & Co. hineingewachsen. «Ich habe Christian auf den Zuschneidetisch gesetzt oder ihn in der Werkstatt spielen lassen», erinnert sich die 77-jährige Marianna Nanni-Leemann. Und ihr 38-jähriger Sohn fügt an: «Später unterstützten mich die Mitarbeitenden bei den Hausaufgaben. Die einen waren besser in Mathematik, die anderen in Sprachen. So war ich früh mit allen Mitarbeitenden eng verbunden und hatte erst noch zügig die Aufgaben erledigt. Danach half ich meinem Grossvater, Rosshaarmatratzen aufzubereiten und abends im Garten Beeren zu pflücken oder Unkraut zu jäten.» Das Treiben im Geschäft und die vielen Aufgaben rund um das geschichtsträchtige Haus haben Christian Nanni begeistert. Für ihn war daher klar, dass er nach der Sekundarschule ebenfalls im Familienbetrieb tätig sein wollte: «Ich war stets lieber hier im Geschäft als in der Schule. Um meinen Horizont doch noch etwas zu erweitern, habe ich nach der Schulzeit eine Schnupperlehre als Elektriker und eine als Schreiner gemacht, aber anschliessend die Lehre als Innendekorateur bei einem ehemaligen Lehrling meines Grossvaters Hans Leemann absolviert.» Heute bezeichnet er sich als «Mädchen für alles»: Die vergangenen zwei Jahre beschäftigte ihn die Renovation des Geschäfts- und Wohnhauses, das schon sein Urgrossvater einst wieder auf Vordermann gebracht hatte, intensiv. Er war nicht nur Bauleiter, sondern legte bei vielem gleich selbst Hand an. Lassen ihm die Bauarbeiten eine Verschnaufpause, geht er zu Kunden, um Vorhänge zu montieren, Teppiche zu legen, Möbel auszuliefern oder um sie zu beraten. Ebenfalls immer etwas zu tun gibt der grosse Garten. «Zwar arbeite ich nicht mehr so häufig in unserer Werkstatt. Unsere neue Sattlernähmaschine, mit der wir alle möglichen Materialien wie Karton, Leder oder Schaumstoff bearbeiten können, wollte ich aber schliesslich doch ausprobieren», so Christian Nanni. Seine Mutter erklärt: «Man spürt es: Die Mitarbeit bei Leemann & Co. stand für Familienmitglieder eigentlich nie zur Diskussion. Ich wie auch mein Sohn sind in das Geschäft hineingewachsen. Es ist unser Lebensunterhalt und unsere Lebensaufgabe.»

Erinnerungen an die Zeiten nach dem Krieg

Marianna Nanni-Leemann kannte ihren Grossvater, den Geschäftsgründer Johann Leemann, nicht mehr. Er starb 1939. Sie erinnert sich jedoch schwach an die Zeit bis 1944, in der ihre Grossmutter das Zepter in der Sattlerei-Polsterei führte. Damals wie auch die Jahre danach war Zollikon noch ein Bauerndorf mit vielen Pferden, weshalb die Sattlerei rege in Betrieb war. Gefragt war auch die Polsterei – im Fokus stand dort die aufwändige Anfertigung und Bearbeitung von Matratzen. «Zusammen mit zwei oder drei Mitarbeitenden holte ich Unter- und Obermatratzen bei Kunden mit einem sogenannten ‹Brückenwagen›, den wir eigenhändig zogen, ab. In der Werkstatt wurden die Matratzen mit neuen, riesigen Sprungfedern ausgestattet und mit Seegras und Rosshaar aufgepolstert, danach wieder zurück zu den Kunden gekarrt», erzählt Marianna Nanni-Leemann, die Tapezierer-Näherin gelernt hat. Heute ist sie noch immer täglich an der Arbeit: Wenn sie nicht mit Büroarbeiten oder Besprechungen mit den Mitarbeitenden beschäftigt ist, geht sie gerne auf Kundenbesuch, um Stoffmuster vorbeizubringen oder Vorhänge oder Polstermöbel auszumessen. Früher sass sie oft hinter der Nähmaschine, überlässt aber heute die Näharbeit ihren Mitarbeiterinnen. Etwas wehmütig blickt sie auf die allererste elektrische Maschine, die noch immer im Atelier im Einsatz steht: «Als wir diese Maschine erwarben, war ich sechs Jahre alt. Da man nach dem Krieg öfters mit Stromausfall rechnen musste, lässt sie sich auch mit dem Fuss betreiben.»

Tradition bewahren, modern bleiben

Während Marianna Nanni-Leemann den Geschmack und die Bedürfnisse älterer Stammkundschaft gut kennt, bringt Christian Nanni gerne neue Ideen für Kunden seiner Generation in das Geschäft ein. Sei es in Form von modernen Stoffmustern oder von speziellen Beleuchtungsobjekten, deren Montage er am liebsten gleich selbst vornimmt. «Wir sind seit über 100 Jahren für Tradition bekannt, möchten jedoch auch auf moderne Wünsche eingehen können», erklärt er. So werden in der Polsterwerkstatt Erinnerungsstücke ­ebenso restauriert wie beinahe futuristische Sitzgelegenheiten aufbereitet oder selbst kreiert und im Nähatelier klassische und moderne Stoffe zu unterschiedlichen Textilien verarbeitet. Mutter wie Sohn schätzen das sichtbare Resultat ihrer kreativen Arbeit sowie die harmonische Zusammenarbeit zweier Generationen. «Klar gibt es Meinungsverschiedenheiten. Doch diese bringen uns auch weiter», betont Marianna Nanni-Leemann. (mpe)

 

116 Jahre Leemann & Co., geführt von zwei Generationen
1903 gründete Johann Leemann im Alter von 29 Jahren die Sattlerei-Polsterei in Zollikon. Sein Sohn Hans Leemann und später Enkelin Marianna Nanni-Leemann (*1942) bauten das Geschäft weiter auf und aus. Mit Christian Nanni (*1981) trat 2002 die vierte Generation in die Firma ein. Marianna Nanni-Leemann hat in Zürich Tapezierer-Näherin gelernt und in einem Auslandaufenthalt in einem grossen Pariser Nähatelier weitere Erfahrung sammeln können, bevor sie 1997 in den Familienbetrieb zurückkehrte. Für Christian Nanni stand ebenfalls seit jeher fest, seine Vorliebe fürs Handwerk bei Leemann & Co. auszuleben. Dies, obwohl er seit Kindheit immer auch gerne Feuerwehrmann geworden wäre. Als freiwilliger Mitarbeiter der Feuerwehr Zollikon hat der gelernte Innendekorateur sich auch diesen Traum erfüllt.
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