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23/2019 «Fundgegenstände erzählen unglaubliche Geschichten über unsere Vorfahren»

Von adminZoZuBo ‒ 7. Juni 2019

«Fundgegenstände erzählen unglaubliche Geschichten über unsere Vorfahren»

Ihre Freizeit verbringt Beatrice Zwicky mehrheitlich im Tessin. Seit sechs Jahren unterstützt die Zollikerin zusammen mit anderen Freiwilligen die Archäologen in Tremona-Castello dabei, Überreste aus dem Mittelalter oder aus noch früheren Zeiten ans Tageslicht zu bringen.

«Die Grababdeckung in der Kirche in Eglisau hat mich in ihren Bann gezogen», erinnert sich Beatrice Zwicky. «Wie da der steinerne, österreichische Lehensherr auf seinem Grab lag, hat mich schon als Vierjährige fasziniert.» Von diesem Moment an wollte sie wissen, wer vor uns existierte und welche Zeugnisse von früher man heute entdecken kann. Bereits als kleines Mädchen verschlang sie alle möglichen Bücher über Archäologie und freute sich über den Umzug der Familie, der sie ausgerechnet in die Nähe des einstigen Römerlagers Vindonissa und der Römerstadt Augusta Raurica führte. Zusammen mit ihrem Vater, der sich ebenfalls für Kulturhistorisches interessierte, besichtigte sie die Ausgrabungsstätte. Er nahm sie auch mit auf kulturelle Reisen, beispielsweise nach Pompeji, oder in hiesige Kirchen.

Auch Volkswirtschaft fasziniert

Trotz ihrer Begeisterung für die Archäologie ist sie Finanzfachfrau geworden. «In der Archäologie ist es schwierig, einen Job zu finden», erklärt die Zollikern. Deshalb habe sie sich entschieden, ihre Leidenschaft für Archäologie als grosses Hobby weiterzuverfolgen und Volkswirtschaft zu studieren, ein Gebiet, das sie ebenfalls fasziniere. «Ich finde es spannend zu sehen, was wirtschaftliches Wachstum antreiben und hindern kann», erklärt Beatrice Zwicky. So baute sie bei der Zürcher Kantonalbank unter anderem das Ressort Volkswirtschaft mit auf. Später arbeitete sie als Kundenberaterin und Managerin in weiteren Banken. Heute unterstützt sie ihre Kunden in der Finanzplanungsfirma Investor’s Dialog bei Fragen nach der geeigneten Bank, der passenden Anlagestrategie, oder sie vermittelt generelles Finanzfachwissen.

Kulturgeschichte auf der Spur

An vielen Wochenenden und in den Ferien widmet sie sich jedoch ganz ihren Lieblingsthemen Archäologie und Kultur – sei es durch einen Kirchen- oder Museumsbesuch, bei der Lektüre, bei der Besichtigung einer Ausgrabungsstätte und seit sechs Jahren gar durch Mitarbeit an Ausgrabungsprojekten. Möglich macht dies der Verein Associazione Ricerche Archeologiche del Mendrisiotto (ARAM), dem Beatrice Zwicky 2013 beigetreten ist. Darauf aufmerksam ist sie während eines Urlaubs mit ihrer Familie im Tessin geworden. «Wir besuchten Tremona-Castello im Mendrisiotto, wo man nicht nur einen fantastischen Blick über Wälder und Täler Richtung Como und Varese geniesst, sondern auch die fast vollständigen Grundrisse einer mittelalterlichen befestigten Siedlung besichtigen und die Geschichte dahinter erfahren kann. Seit zwei Jahren sogar mit 3D-Brillen», schwärmt Beatrice Zwicky. Sie erfuhr, dass Tremona zu den wenigen Orten gehört, an denen es auch Laien erlaubt ist, unter Anleitung von Archäologen auszugraben. Seit sechs Jahren unterstützt sie nun das rund 15-köpfige Grabungsteam, das je zur Hälfte aus Archäologen und aus freiwilligen Helfern besteht.

Samstäglicher Einsatz

Der Tessiner Archäologe Alfio Martinelli, der das mittelalterliche Dorf in den 80er-Jahren entdeckt hatte und 20 Jahre später mit den Ausgrabungen begann, informiert jeweils am Samstagmorgen alle Mitwirkenden seines Grabungsteams über neue Erkenntnisse zu entdeckten Fundgegenständen und gibt auch allgemeine Hinweise aus der Welt der Archäologie, beispielsweise zu neuer Literatur. Dann teilt er die Helfer und Archäologen für die Ausgrabungen des Tages ein. «Wir sind an jedem Samstag, ausser bei gefrorenem oder nassem Boden, vor Ort und zusätzlich graben wir im Sommer zwei Wochen am Stück», erläutert Beatrice Zwicky.

Mit Hilfe eines Spachtels und Pinseln werden die Erde vorsichtig entfernt, der Verlauf der einzelnen Erdschichten untersucht und immer wieder Gegenstände freigelegt. Beispielsweise Pfeilspitzen unterschiedlicher Herkunft und verkohlte Überreste. Diese lassen darauf schliessen, dass das Dorf, das einst aus 50 Häusern und zwei Türmen sowie einer Ringmauer bestand, mehrmals überfallen und niedergebrannt worden war. Nicht alle Häuser sind jedoch ganz ausgebrannt und zu Asche geworden. Einige wurden durch einen Schwelbrand zerstört, weshalb ein Teil der darin enthaltenen Gegenstände konserviert worden sind. Wir fanden Lebensmittel wie Marroni, Nüsse, Kornelkirschen, Hirse, Linsen, Kichererbsen und Weizen.», erzählt die engagierte Grabungshelferin. «Vor sechs Jahren hätte ich die Körner ohne fachkundige Anleitung wohl kaum erkannt.»

Es gehe nicht darum, möglichst spektakuläre Fundgegenstände ans Tageslicht zu bringen, sondern vielmehr aufzuspüren, was an diesem Ort geschehen sei und wer hier wann und wie gelebt habe, beschreibt sie ihre Faszination. So fand das Grabungsteam unter der mittelalterlichen Schicht in einem Haus viele steinzeitliche Überreste wie Feuersteinmesserchen, Feuersteinspitzen und unzählige Splitter, die auf die Herstellung der Werkzeuge vor Ort schliessen lassen. Ausserdem wiesen diese Funde darauf hin, dass die normalerweise wenig sesshaften Steinzeitmenschen sich in Tremona länger aufgehalten hätten. Die Analyse von freigelegten Feuerüberresten zeigte zudem, dass es dort bereits 3800 v. Chr. gebrannt haben muss.

Einsatz beim Castel San Pietro

Die Ausgrabungsarbeiten in Tremona neigen sich dem Ende zu: Bis im Spätsommer sollten auch der letzte Teil der mittelalterlichen Strasse sowie ein weiteres Haus, das kürzlich entdeckt worden ist, ausgegraben sein und untersucht werden. «Unsere Gruppe wurde jedoch bereits für weitere Grabungen angefragt», erzählt Beatrice Zwicky strahlend. Im Breggia-Naturpark, bei der Chiesa Rossa (rote Kirche) in Castel San Pietro werde ein Palast des Bischofs von Como vermutet. «Es ist toll, in einer Gruppe von kulturinteressierten Menschen mitzuarbeiten und gemeinsam zu archäologischen Erkenntnissen beitragen zu können.», freut sie sich. (mpe)

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