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34/2019 «Mit sich selbst hält es kein Mensch aus»

Von adminZoZuBo ‒ 22. August 2019

«Mit sich selbst hält es kein Mensch aus»

Gefragter Autor: Ludwig Hasler hatte etliche Bücher zu signieren. (Bild: mmw)

Der Zolliker Philosoph und Autor Ludwig Hasler findet, dass Senioren an der Zukunft mitwirken sollen, auch wenn es nicht mehr die eigene sein wird. Anfang der Woche stellte er sein neustes Buch übers Altern vor.

Irgendwann ist er da. Der Beginn des Ruhestands. Der Tag, an dem die Arbeit erledigt ist, der Zeitpunkt, an dem die Pensionierung beginnt, das Rentnersein Einzug hält. Ruhestand? Mit 64 oder 65, wie es in der Schweiz üblich ist? Ganz sicher nicht. Ludwig Hasler ist in seinem Element. Im Zürcher Volkshaus, der Saal voll besetzt, referiert der 75-jährige Zolliker Philosoph und Publizist am Dienstagabend übers Alter. Angekündigt als Gespräch mit seiner Verlegerin anlässlich der Vernissage seines eben erschienenen Buches, plädiert der Autor eine Stunde lang für das, was zugleich der Titel des Werkes ist: «Für ein Alter, das noch was vorhat.»
Natürlich könne das Leben nach der Pensionierung endlich ruhiger angegangen werden. «Doch 25 Jahre Ausruhen sind in Wirklichkeit eine bescheuerte Perspektive», findet Ludwig Hasler. Wir Menschen leben heute nicht nur länger,
sondern auch gesünder, wir sind im Alter noch vital und genauso unternehmungslustig. Doch weil wir immer länger lebten, würden wir uns auch häufiger fragen, womit und wozu wir leben. Das Alter brauche – dringend – ein neues Gewicht, ein neues Skript, eine neue Anleitung. «Wir denken heute fahrlässig so, wie es die Generation vor uns bereits tat», ortet der Philosoph das Problem. «Das Alter als das, was für den Schöpfergott der siebte Tag war: Zeit zum Ausruhen und Durchatmen.» Der Mensch aber sei ein exzentrisches Wesen. Er müsse etwas vorhaben, etwas entwerfen, auf anderes aus sein. «Mit sich selbst hält es kein Mensch aus», sagt Ludwig Hasler bestimmt, «er verkümmert, er verkommt.» Im Gegensatz zu einer Blume, die von der Gegenwart lebt, brauche der Mensch eine Zukunft. Eine Zukunft, die im Alter zwar schwinde, an der ältere Menschen aber noch immer mitwirken sollten – auch wenn es nicht mehr die eigene sein wird.

Teilhaben am Leben anderer

Über diesen Gedanken – der ein schöner und tröstlicher sei – habe er viel nachgedacht und daraus sei schliesslich sein Buch entstanden, erzählt er seinem aufmerksam lauschenden Publikum. Der Mensch sei dann zufrieden, wenn er nicht allein sei, wenn er seine Rolle habe im Welttheater, wenn er sich nützlich machen könne. Wolle er zu seiner Form auflaufen, müsse ein Mensch aus sich hinaus, müsse teilnehmen am Leben anderer. Dabei spiele es überhaupt keine Rolle, über welche Kräfte ein Mensch verfügt. Ob er handwerklich geschickt, mathematisch begabt oder ein sprachliches Genies ist, entscheidend sei, dass er etwas im Kopf und im Herzen, schlussendlich in der Hand hat: «Der Sinn des Lebens liegt nicht in einem drin, er liegt vor der Haustüre.» Der Mensch muss sich also nützlich machen können, muss der Akteur seiner eigenen Welt sein, soll nicht passiv, sondern aktiv sein.
Und genau das können Senioren – sie können mitwirken, anpacken, aushelfen. «Von uns Rentnern gibt es von allen genug: Kräftige, Köchinnen, Informatiker, Unterhalter.» Fachkompetenzen sollten vermittelt werden, genauso, wie es immer mehr Vereine und Organisationen wie beispielsweise «Senioren für Senioren» täten. Die Altershilfe solle entprofessionalisiert, die Regie der Alterswelt den Senioren selbst überlassen werden. So bekämen diese wieder eine Bedeutung, auch für andere, was bekanntlich Sinn ergebe. «Senioren, die drei Stunden lang einer kranken Frau den Garten pflegen, sind die glücklichsten», sagt der Zolliker frohgemut, und er ist überzeugt: «Sie sind weitaus glücklicher als jene, die grad von einer Kreuzfahrt zurückkehren.» Er selber könne sich gut vorstellen, sei er eines Tages beruflich nicht mehr gefragt, in Zollikon, wo er zuhause ist, in der Schule auszuhelfen und mit Kindern aus dem Balkan Mathe oder Deutsch zu üben. Zwar werde er die Zukunft dieser «Balkankids» nicht mehr miterleben, doch er stelle sich bereits heute freudig vor, wie diese Kinder dank seiner Nachhilfe grossartig würden, die Gemeinde einen Höhenflug erlebe, wie er herzhaft lachend erzählt. «In der Kräftigkeit dieser Kinder werde ich mich quasi selbst überleben, mein Wirken steckt in ihnen, ich bin an ihrer Zukunft beteiligt.» Tönt eingebildet? Der Philosoph winkt ab. Es sei nichts falsch daran, sich etwas einzubilden. Er sei es sich gewöhnt, überschätzt zu werden, sagt er augenzwinkernd, das stachle ihn nur an.

Schwachsinnige Altersgrenzen

Von Altersgrenzen hält Ludwig Hasler, der mit 75 noch regelmässig als Referent auftritt und als Autor tätig ist, nichts. Schwachsinnig seien sie. «Man muss nicht weiterarbeiten wie bisher, aber ein altersgerechtes In-den-Einsatz-kommen-Können soll möglich sein.» Sein Rat: Chefs sollen zu einem gewissen Zeitpunkt den Sessel räumen, mit weniger Salär und mit Erfahrung aber bleiben. Jüngere mit mehr Elan und frischem Wissen sollen übernehmen. Sie profitierten dann vom Rat der Erfahrenen. «Erfahrung kann man nicht lernen, Erfahrung muss man machen.» Erfahrung sei nicht Wissen, sondern Wissen konfrontiert mit Realität. Ludwig Hasler ist überzeugt, dass erfolgreich ist, wer Wissen und Erfahrung zusammenspielen lässt. Irgendwann aber ist er dann doch da, der Lebensabend, der sich für den Zolliker erst zum Lebensnachmittag dehnt. Wenn die Kräfte dann doch nachlassen, jenes Alter kommt, in dem man hilfsbedürftig, gebrechlich, polymorbid wird, was gibt es dann zu tun? Noch immer genügend, findet der Philosoph Ludwig Hasler: «Für die Teilnahme am Leben müssen wir nicht immer tätig sein, sie kann auch theoretisch passieren, indem man hinschaut.» Etwa Mauerseglern zuschauen, die immer in der Luft schweben, oder die Intelligenz der Pflanzen beobachten. «Sich selber überleben kann man umso besser, wenn man das Leben um sich herum sehr gut kennt», sagt der Zolliker Philosoph und verabschiedet sich dann mit den beiden Worten: «Viel Glück.» (mmw)

 

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