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38/2019 Persönlich Thierry Blancpain

Von adminZoZuBo ‒ 20. September 2019

Central Park versus Tobel

Thierry Blancpain freut sich darauf, bald der coole Onkel aus New York zu sein. (Bild: zvg)

In Zumikon wird gerade das Zvieri serviert, da sitzt Thierry Blancpain in New York bei seinem ersten Kaffee. Der Designer und «Schriftenerfinder» aus Zumikon hat die Stadt, die niemals schläft, zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht. 

Thierry Blancpain, Geburtsort ­Zumikon, Wohnort New York. Wie verlief dieser Weg?

Ich bin in der Siedlung Seldwyla aufgewachsen, natürlich in die Juch-Schule gegangen und später in ein Gymnasium in Zürich. Doch da habe ich schnell gemerkt, dass dieses Stillsitzen nichts für mich ist. Ich habe dann eine kaufmännische Ausbildung bei «Swiss Films» gemacht und dort die Leidenschaft für Grafik und Design entdeckt. Somit habe ich nach der dreijährigen Lehre an der Hochschule der Künste in Bern «Visuelle Kommunikation» studiert. Noch heute arbeite ich für einige Wochen im Jahr dort als Dozent im Master-Programm.

Wirklich näher an New York ist das aber noch nicht, oder?

Nicht wirklich. Während einer Projektarbeit im Studium habe ich mit meinem Mitbewohner, Noël Leu, eine «Type Foundry» namens Grilli Type entwickelt. Das lässt sich am ehesten mit «Schriftschmiede» übersetzen. Wir erfinden also neue Fonts. Wer am PC arbeitet, greift meistens auf die vom Hersteller ­installierten Schriften zurück – sei es Arial oder Times New Roman. Aber für ein Branding sind eigenständigere, besser auf den Zweck zugeschnittene Schriften wichtig. So nutzt beispielsweise die NZZ auf ihrer Webseite eine Schrift von uns, aber auch internationale Unternehmen wie Youtube und Samsonite, und ein neues Filmmuseum für die Oscars in Los Angeles. Wichtig ist die Orientierung am Kunden: Was will er? Wen will er ansprechen? Was für ein Produkt steht im Fokus? Dabei hätten wir nie gedacht, dass wir mit diesem Spassprojekt einmal Geld verdienen könnten. Wir haben das immer so nebenbei betrieben. Ende 2012 haben wir uns dann aber zusammengesetzt und überlegt, ob wir es einfach ruhen lassen oder richtig investieren. Gottseidank haben wir uns für den zweiten Umschlag entschieden.

Grilli Type ist also jetzt amerikanisch?

Nein. Der Sitz der Firma ist in Luzern, Noëls Heimat. Doch wir als Gründer und unsere Mitarbeitenden sind überall. Berlin, Chile, Bern und ich eben in New York, wo ich auch als Designer für andere Kunden arbeite.

Für wen zum Beispiel?

Im letzten Jahr zum Beispiel für eine Organisation namens ACLU, die Amerikanische Bürgerrechtsunion, welche sich seit rund hundert Jahren für die Grundrechte und Würde aller Amerikaner einsetzt. Für sie ging es um ein Projekt namens «Smart Justice 50-State Blueprints», das darauf aufmerksam machen soll, wie viele Gefangene in amerikanischen Gefängnissen sitzen – es sind fast zwei Millionen –, und Lösungen anbietet, wie diese Zahl reduziert werden kann. Eine meiner Aufgaben war dann, diese enorme Zahl sowie die Lösungsvorschläge in Form einer Webseite zu visualisieren. Das ist extrem spannend.

Bleiben wir noch kurz bei Ihrem Beruf: Haben Sie eine Lieblingsschrift?

Nein. Es gibt ja auch nicht das eine Outfit, das für alle Situationen richtig ist. Aber oft ist es so, dass man die Schrift, die man gerade über Monate designt hat, sehr mag und hofft, dass sie auch erfolgreich sein wird.

Und nun zum Big Apple: Ist New York wirklich die Stadt, die nie schläft?

Wer will, kann hier immer etwas erleben. Gerade am Anfang, wenn man hierher zieht oder auch, wenn man als Tourist kommt, erlebt man das extrem. Wer morgens um drei Uhr eine Pizza mit Sushi drauf essen will, bekommt die. Ich geniesse das Lebendige, Pulsierende. Viele kreative Menschen werden von New York angezogen. Das bringt ein besonderes Flair mit sich. Auf der anderen Seite fahre ich ganz normal morgens mit dem Zug ins Büro, komme am Abend nach Hause, treffe mich mit Freunden oder gehe wie vorgestern um zehn Uhr abends schlafen.

Was vermissen Sie am meisten?

Natürlich stehen da ganz oben die Familie und die Freunde. Ich finde es schade, dass ich meine Nichte und meinen Neffen so selten sehe. Aber klar, wenn die einmal älter sind, wissen sie einen Onkel in New York zu schätzen. Ausserdem gibt es mittlerweile so gute Wege, um miteinander zu kommunizieren. Was ich aber auch vermisse, ist die Natur. Ich wohne hier zwar in Brooklyn in einer schönen Strasse mit Bäumen. Aber das Zumiker Tobel vor der Haustüre kann das nicht ersetzen. Und auch, dass ich nicht mal rasch zum See runter kann, fehlt mir manchmal. Wenn ich hier in die Natur will, muss ich mit der Bahn mindestens anderthalb Stunden fahren. Am Freitag, wenn alle aus der Stadt hinaus wollen, sind es dann auch leicht mal drei Stunden mit dem Auto. Und was mir auch fehlt, ist der Schweizer Käse. Wenn ich hier Fondue für Freunde mit richtigem Schweizer Käse machen will, kostet allein der Käse mich 70 Franken. Das ist dann schon ein ziemlicher Luxus.

Wie sehen die Amerikaner die Schweiz –, wenn sie sie denn sehen?

Wenn ich sage, dass ich aus der Schweiz komme, höre ich oft: Ach ja. Schweden. So schön. Aber es gibt auch Amerikaner, die schon in der Schweiz wandern waren oder die Berge, z.B. in Interlaken oder Zermatt, besucht haben. Was lustig war: Als meine Verlobte von einer Konferenz in Atlanta nach Hause kam, erzählte sie, dass auch eine Teilnehmerin aus der Schweiz dabei gewesen sei. Um es kurz zu machen: Das war die Halbschwester meines besten Kindheitsfreundes. Ich wusste nicht einmal, dass die in den USA lebt. Wenn wir das erzählen, denken natürlich alle, jeder in der Schweiz kennt jeden. 

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Hier. Absolut. Einerseits bin ich jetzt hier verlobt und dann liebe ich die Internationalität. Klar, Zürich hat mit 32 Prozent auch einen hohen Ausländeranteil. Das sind aber vor allem weisse Immigranten und viele Akademiker. In Zumikon selber sieht die Zusammensetzung nochmals ganz anders aus. Hier in New York findet sich alles. Ich werde mit einer anderen Form von Fremdheit konfrontiert, an der ich wachse. Ich geniesse diese Vermischung von Kulturen, finde sie extrem belebend. (Interview: bms)

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