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Vielleicht etwas stur, aber niemals starrsinnig

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 9. Januar 2020

Karl Sittlers Lebensweg von Berlin über die USA bis nach Zumikon hat viele Stationen und Abzweigungen.

Jeden Montag beginnt Karl Sittler im Café Fischvogel, wo er Znüni serviert. (Bild: bms)
Jeden Montag beginnt Karl Sittler im Café Fischvogel, wo er Znüni serviert. (Bild: bms)

«Alle sagten: Das geht nicht. Da kam einer, der das nicht wusste und tat es einfach.» Wenn auf jemanden dieses Zitat von ­Goran Kikic zutrifft, dann auf Karl Sittler. Im Leben des 78-­Jährigen sind immer wieder Türen aufgegangen. Doch es trifft wohl auch das Zitat von Louis Pasteur zu: «Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.» Und Karl Sittler war immer vorbereitet, ein Macher durch und durch. Das erfuhr auch der Zumiker Gemeinderat, als Karl Sittler hierher zog.

Zu jener Zeit wurde der Bau einer neuen Schulanlage von der Gemeindeversammlung abgelehnt. «Dabei waren schon anderthalb Millionen Franken in dieses Projekt geflossen», erinnert sich Karl Sittler. Er fragte beim Gemeinderat nach einem Masterplan für Zumikon. Weil es den nicht gab, wurde Karl Sittler selber aktiv. Er ging kurzerhand zur Abteilung Städtebau der ETH, es wurden ihm drei Studenten und zwei Professoren für eine Studie zugeteilt, danach kaufte er die nötigen Katasterdaten. «Zumikon liegt mir einfach am Herzen», erklärt er.

Pflichtlektüre

Auch als er merkte, dass eine Kommunikationsplattform für das Gemeindehaus und die Bürger fehlte, wurde er aktiv. Gemeinsam mit Alt-­Gemeinderat Hugo Rhiner wandte er sich an Claudia Eberle-­Fröhlich, die Herausgeberin des damaligen Zolliker Boten. «Sie machte mir schnell klar, dass eine Zumiker Zeitung auch das amtliche Organ sein müsste, um erfolgreich zu sein», erzählt Karl Sittler. Eine fast einjährige Pilotphase wurde eingeläutet und seit mittlerweile drei Jahren lesen auch die Zumiker die inzwischen auf Zolliker Zumiker Bote umbenannte Wochenzeitung.

Es klingt, als würde alles zu Gold, was Karl Sittler anfasst. Sein Erfolg ist weniger dem Glück zuzuschreiben, als seiner Neugierde, seinem Ehrgeiz und schliesslich seinem Optimismus, von dem sein verschmitztes Lachen zeugt.

Geboren wurde Karl Sittler 1941 in Berlin. Keine gute Zeit, kein guter Ort. Drei seiner Geschwister wurden in Deutschland geboren, vier weitere später in den USA. «Mein Vater war ein umtriebiger Mensch», erzählt der Zumiker und liefert damit die Erklärung für seine eigene Betriebsamkeit. Als Hochschullehrer für Literatur und Philosophie unterrichtete der Vater in den USA an diversen Schulen, sodass die ­Familie häufig umzog. Als die Sittlers 1960 nach Deutschland zurückkehrten, war Karl bereits dort, als Soldat der US Army in Würzburg stationiert. «Nach der Zeit in der Army blieb ich zunächst in Deutschland, weil ich die Sprache lernen wollte», erinnert sich Karl Sittler.

Er zog nach München und wurde Filmkomparse bei einer amerikanischen Produktion, wobei es ihm natürlich half, dass er Englisch sprach. Als der Sohn des Regisseurs zurück in die Staaten musste, übernahm der junge Karl dessen Job als zweiter Kameraassistent. «Weiter hätte ich es da aber eh nicht gebracht, da ich farbenblind bin», sagt er und lacht. Er jobbte weiter und landete bei einer Baufirma. Die Frage, ob er Bauraupen fahren könne, bejahte er, immerhin war er ehemaliger Panzerfahrer. «Und schon sass ich auf einem uralten Modell aus dem zweiten Weltkrieg», erzählt er.

Lehrerausbildung

Bei seinem nächsten Job fuhr er sechs Monate lang Sattelschlepper durch die bayerische Landschaft. Schliesslich landete er bei einem deutsch-­französischen Projekt zur Entwicklung von Roland, einer Boden-­Luft-­Rakete. «Ich weiss noch genau, dass ich eines Morgens aufwachte und mich fragte, welchen Nutzen diese Arbeit eigentlich hat». Da er auf diese Frage keine Antwort fand, ging er. Ihm wurde klar, dass er – wenn er wirklich etwas verändern wollte – bei den Kindern anfangen musste. Er beschloss, Lehrer zu werden.

Just als er sich einschreiben wollte, schickte ihm sein Vater einen Artikel über ein Versuchsprojekt an einer Jesuiten-­Hochschule in New York, wo fächerübergreifend studiert wurde. Zu dieser Zeit waren Computer bereits auf dem Vormarsch und faszinierten auch Karl Sittler. Während seiner dreijährigen Ausbildung besuchte er diverse Programmierkurse und erkundete die digitale Welt. «Das war 1968 und es war richtig was los», erinnert er sich.

Anschliessend, nach vier Jahren bei IMT, als sein Doktorvater sein Dissertations­Thema ablehnte, schlug Karl Sittler einen neuen Weg ein. Bei der Bank of Boston war er in der Strategieabteilung unter anderem für die jeweiligen Software­Programme zuständig. 80­Stunden-Wochen standen auf der Tagesordnung.

Inzwischen war er bereits zum zweiten Mal verheiratet. Mit seiner zweiten Ehefrau hat er zwei Kinder und einen Sohn aus erster Ehe. «Wir wohnten in einem Postkartendorf an der Küste von Massachusetts, das war für die Kinder ein Paradies.» Er wechselte in die Immobilienabteilung der Bank und führte auch da die Computer mit entsprechender Software ein. Als die Bank verkauft wurde, musste er gehen. Ein Jahr lang kümmerte er sich um die an Alzheimer erkrankten Schwiegereltern, die mit seiner Familie lebten.

Anruf aus Urdorf

Die nächste Tür öffnete sich mit einem Anruf aus Urdorf. Durch Zufall war sein Lebenslauf bei einer Schweizer Firma gelandet, die ihn als IT-Fachmann für Portfolio­Software wollte. Als die Verantwortlichen ihn kontaktierten, hatten sie bereits ein Ticket für ihn am Flughafen hinterlegt. Neugierig sei er nach Zürich gekommen. Bereits am Flughafen Zürich erwartete ihn die erste Überraschung: «Ich verstand kein Wort, obwohl ich Deutsch konnte.»

Als die Firma nur fünf Monate später überraschend verkauft wurde, war er als 56­jähriger Amerikaner plötzlich arbeitslos in der Schweiz. «Ich musste mich entscheiden: Rückkehr in eine Ehe vor dem Aus oder Arbeitssuche in der Schweiz», sagt er. Er beschloss zu bleiben, nicht zuletzt, weil er sich inzwischen in eine Zumikerin verliebt hatte. «Wir sind seit 23 Jahren zusammen, davon 19 verlobt», freut er sich.

Und wieder schlug Karl Sittler eine ganz neue Richtung ein: Er absolvierte eine Ausbildung als Heilpraktiker, besuchte anschliessend eine Shiatsu-­Schule und führte mit einer Kollegin zeitweise eine eigene Praxis. Aber der Markt sei schwierig: «Es gibt zu viele Anbieter.»

Der Traum vom Hanf

Als Pensionär investiert Karl Sittler mittlerweile viel Zeit in seine neue Heimat. Er engagiert sich für den Bau von Alterswohnungen, ist aktiv beim Gemeindeverein sowie bei «Senioren für Senioren» und träumt ausserdem davon, dass die Hanfpflanze rehabilitiert wird. «Hanf ist eine wunderbare Pflanze; sie nimmt viel CO2 aus der Luft und speichert es im Boden, ausserdem lassen sich aus den Fasern verschiedenste hervorragende Produkte herstellen», begründet er seine Faszination für die Pflanze. Gemeinsam mit der ­ICS Inter-Community School wollte er ein Projekt realisieren. Ein Bauer stellte ihm im Schwäntenmoos ein Stück Land zur Verfügung. Die Schule entschied: anbauen ja – Hanf nein. Deshalb wurden verwandte Samen aus Israel eingeflogen.

Nach der Aussaat verschwanden die Kinder in die Sommerferien. Da die Pflanzen Wasser brauchten, schleppten Karl Sittler und seine Frau allein unzählige Wassereimer an und bewässerten die kleinen Pflanzen. Als er sich dabei einen Zeckenbiss zuzog, wertete er sogar das positiv: «Mir war es lieber, dass es mich traf als eines der Kinder.» Aufgegeben hat er sein Hanf-­Engagement nicht, sondern sucht nach weiteren Kooperationspartnern. Da ist er stur und optimistisch. Irgendeine Tür wird aufgehen. Und Karl Sittler wird dann parat sein.

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