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Der Soundtrack eines Lebens

Von Tobias Chi ‒ 16. Januar 2020

Ihr Erwachsenenalter begann sie als Hippie, dann wurde sie Mutter, demnächst wird sie pensioniert: Eveline Turconi hat 36 Jahre in Zollikon gearbeitet und zehn Jahre in Zumikon gewohnt. Jetzt freut sie sich auf ihren Ruhestand in Ebmatingen.

Eveline Turconi ist im Herzen immer ein Hippie geblieben. (Bild: chi)
Eveline Turconi ist im Herzen immer ein Hippie geblieben. (Bild: chi)

Nach 36 Jahren in derselben Firma beginnt für Eveline Turconi bald die gemütlichste Zeit des Lebens: Ende Februar wird sie pensioniert. Dann will sie sich Zeit für vernachlässigte Hobbies nehmen, etwa fürs Lesen oder für ausgiebige Zoobesuche. Dass ihr langweilig werden könnte, fürchtet sie nicht. Sie sei ein zufriedener Mensch, sagt sie, um sich gleich zu korrigieren: «Nicht nur zufrieden, sondern sogar glücklich.» Angesichts ihrer ruhigen, geerdeten Art und der Lachfältchen in ihrem Gesicht glaubt man ihr das sofort. Ihre Zufriedenheit habe bestimmt auch mit ihrer Arbeit zu tun, sagt die 64-Jährige: «Wenn du so lange in derselben Firma bist, dann muss einfach etwas dran sein.» Aufgewachsen ist Eveline Turconi im Zürcher Seefeld. Die KV-Lehre absolvierte sie Anfang der 1970er-Jahre bei einem Zürcher Verlag, der unter anderem den berühmten Pestalozzi-Kalender herausgab. Danach arbeitete sie in verschiedenen kleinen Betrieben und jobbte auch im Service, beispielsweise in der Brasserie an der Rämistrasse oberhalb der Kronenhalle. Das in französischem Stil gehaltene Lokal mit seiner langen Bartheke und relativ wenigen Tischen galt damals als sehr modern und zog ein entsprechend aufgeschlossenes Publikum an.

Einmal Hippie, immer Hippie

Weil ihre Schichten oft bis spätabends dauerten, lernte die junge Eveline Turconi das Zürcher Nachtleben der 1970er-Jahre kennen. Sie verkehrte in angesagten Lokalen wie dem Odeon am Bellevue oder dem Turm im Niederdorf. Zum Tanzen ging man ins Antares hinter dem Musik Hug. Ein anderer wichtiger Treffpunkt war die sogenannte Riviera, die breiten Stufen am Flussufer beim Limmatquai. Hier traf sich die Hippieszene, zu der sich auch Eveline Turconi zählte. Ob sie auch heute noch ein Hippie ist? «Das ist etwas, was man nicht mehr ablegen kann, wenn man es einmal ist», sagt sie lachend. Ihr Hippietum drückte sich etwa darin aus, dass sie sich am Arbeitsplatz nicht alles gefallen liess. Zu jener Zeit war klar, dass sie als einziges Mädchen unter vier Lehrlingen den Kaffee zu servieren oder das Telefon abzunehmen hatte. «Dafür haben wir die Eveline», habe es geheissen. Obwohl das nicht immer gut ankam, kämpfte die junge Frau gegen diese Ungerechtigkeit an. Als echter Hippie hat sie auch in Wohngemeinschaften gelebt, die damals Kommunen hiessen. Und nicht zuletzt ist für einen Hippie die Musik wichtig. Eveline Turconi hörte Bands wie Deep Purple, Led Zeppelin, Jethro Tull, die Doors oder die Stones. «Zurzeit bastle ich am Soundtrack meines Lebens», sagt die 64-Jährige. «Meine Lieblingsmusik lasse ich dann an meiner Abschiedsparty Ende Februar laufen.»

Plötzlich Mutter und allein

Mit 24 Jahren kam für die Nachtschwärmerin der Zeitpunkt, erwachsen zu werden: 1980 brachte Eveline Turconi einen Sohn zur Welt. Ein solches Ereignis allein ist kraftvoll genug, um ein Leben auf den Kopf zu stellen. In Eveline Turconis Fall kam jedoch noch etwas anderes hinzu. Der Vater des Kindes, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt seit fünf Jahren in einer Beziehung war, weigerte sich, seinen Sohn zu akzeptieren. Verständlicherweise wollte die junge Mutter mit diesem Mann nichts mehr zu tun haben und verliess ihn. «Zum Glück waren wir nicht verheiratet», sagt sie heute. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie sich in einem Menschen so getäuscht hatte, und sie begann, an sich selbst zu zweifeln: «Manchmal frage ich mich noch heute, wie es überhaupt möglich ist, dass ein Vater sein Kind einfach links liegen lässt.»

Als sie plötzlich mit einem Kind, ohne Mann und wenig Finanzen dastand, ging sie erst einmal zurück ins Seefeld zu den Eltern, mit denen sie immer ein gutes Verhältnis gepflegt hatte. Die junge Mutter arbeitete nur halbtags, um die restliche Zeit mit ihrem Sohn zu verbringen. «Mit einem Kind bekommt dein Leben automatisch einen anderen Stellenwert», sagt Eveline Turconi. So war sie – weil der Kleine oft früh aufwachte – oft schon morgens um halb neun am See unterwegs. «Das wäre mir vorher nie eingefallen», sagt sie und lacht. Plötzlich habe sie alles durch andere Augen gesehen: «Das Kind machte mich auf Dinge aufmerksam, denen ich vorher keine Beachtung geschenkt hatte: ein Entchen vielleicht oder eine bunte Blume. Das ist etwas Wunderbares.»

Schicksalhaftes Stelleninserat

Auf der anderen Seite war das Leben als alleinerziehende Mutter nicht einfach. Es gab keine weitere enge Bezugsperson für ihren Sohn, bei der sie ihn zwischendurch hätte abgeben können. In ihrem Freundeskreis war sie immer die einzige, die ein Kind dabei hatte. Weil ihr Sohn durch die starke Bindung sehr auf seine Mutter fixiert war, blieb Eveline Turconi oft mit ihm zu Hause statt auszugehen. Zum Glück sahen ihre Schwester und ihre Eltern immer wieder nach dem Kind. «So hatte mein Sohn zwar keinen Vater, dafür aber einen starken Grossvater», sagt Eveline Turconi. Ihr Vater sei damals gerade pensioniert worden und habe sich rührend um seinen Enkel gekümmert. Der Vater war es auch, der seine Tochter eines Tages auf ein Inserat im Stellenanzeiger aufmerksam machte: Eine Druckerei in Zollikon suchte eine Arbeitskraft für Texterfassung. Weil Eveline Turconi bereits als Texterfasserin gearbeitet hatte, bewarb sie sich – und setzte sich gegen über 60 Mitbewerber durch. «Es war sicher viel Glück dabei», sagt sie bescheiden. «Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.»

Von der Lochkarte zum Computer

Das war 1984, die Branche befand sich in einem starken Wandel. Das Computerzeitalter war noch nicht richtig angebrochen, gleichzeitig war die Zeit des Schriftsetzers schon vorbei. Texterfassung bedeutete damals, eine Lochkarte über eine Tastatur zu bearbeiten. Der Bildschirm bestand aus einem kleinen beleuchteten Feld, das rund 40 Zeichen darstellen konnte. Kurze Zeit später brach die Ära des sogenannten Desktop-Publishing an. Die Fröhlich Info AG, die heute auch den Zolliker Zumiker Boten herausgibt, war damals eine der ersten Firmen, die sich entschied, Computer anzuschaffen. «Viele der älteren Mitarbeiter wollten sich nicht darauf einlassen», erinnert sich Eveline Turconi. Doch weil die Zeiten sich änderten, kam man nicht daran vorbei. An einem Wochenende fand ein Einführungskurs in die neue Materie statt. «Dafür, dass alles neu war und es noch gar keine Ausbildungen für dieses neue Feld gab, lief der Einstieg eigentlich recht gut», fasst Eveline Turconi ihre Eindrücke von damals zusammen. Nach 36 Jahren naht also der Abschied aus dem arbeitstätigen Leben. Sollte es Eveline Turconi dann wider Erwarten doch langweilig werden, so habe sie jetzt ja ein Haus, das sie putzen könne, meint die 64-Jährige lachend. Denn nach zehn Jahren in Zumikon ist sie unlängst in ein schmuckes Häuschen mit Garten in Ebmatingen gezogen – zusammen mit ihrem Sohn, aus dem ein Informatiker geworden ist. Und auch für Eveline Turconis Schwester ist ein Zimmer reserviert. Mit beiden pflegt sie ein sehr gutes Verhältnis. Die besten Voraussetzungen also, um wieder in einer Hippe-Kommune zu leben.

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