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«Phasen der Resignation sind normal»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 7. Februar 2020

Ein spannendes Referat in der Buechholz-Aula über die Smartphone-Nutzung bei Jugendlichen zeigte die Komplexität des Themas.

Die Resonanz zeigte: Viele Eltern machen sich Gedanken über das Handy-Verhalten ihres Kindes. (Bild: bms)
Die Resonanz zeigte: Viele Eltern machen sich Gedanken über das Handy-Verhalten ihres Kindes. (Bild: bms)

Als die Eltern, die vergangenen Montag in der Buechholz-Aula sassen, selber jung waren, gab es vor allem ein Problem: Wann muss ich zu Hause sein? Sie hatten mit ihren Eltern inbrünstig um jede Stunde gestritten, die sie länger an einer Party bleiben durften. Nun – selber in der Elternrolle – wünschen sich viele nur eins: dass die Kinder mal das Haus verlassen. Vielleicht sogar an eine Party gehen. Schlicht: sich mit echten Menschen treffen.

Doch das tun viele Jugendliche nicht mehr. Warum auch? Die Welt kommt ja zu ihnen. Sie unterhalten sich auf WhatsApp, schauen sich Fotos auf Instagram an, spielen gemeinsam «Fortnite», simsen sich die «Uffzgi». Alles ist jederzeit möglich. Und weil fast alle Eltern sich dieses Problems bewusst sind, war der Ansturm zur Medien-Informationsveranstaltung an der Schule enorm. Mehr als hundert Väter und Mütter wollten sich über Möglichkeiten des Umgangs orientieren. Zu Gast waren dazu Claudia Gada und Joachim Zahn vom Verein «Zischtig», der sich für mehr Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen stark macht.

Fast rettungslos ausgeliefert

Spätestens ab der Oberstufe verfügen die Jugendlichen heute über ein eigenes Handy – meist ein Smartphone. Und genau damit sind die Mädchen und Jungs permanent der Versuchung ausgesetzt, nur rasch die Mails zu checken, auf YouTube einen Film zu schauen und, und, und. Dabei sind sie der Industrie dahinter fast rettungslos ausgeliefert. Die weiss ganz genau, worauf Jugendliche – ebenso wie Erwachsene – abfahren. Auf Lob, Belohnung, Anerkennung, Gruppenzugehörigkeit. Und das wird geliefert. Es gibt virtuelle Währungen, Punkte, Sternchen, Herzchen. Der User erreicht plötzlich ein höheres Level, ist stolz und spielt gleich weiter.

Wie komplex das Thema ist, zeigte der anderthalbstündige Vortrag, der trotzdem nicht alle Aspekte beleuchten konnte. Unterlegt mit witzigen Bildern veranschaulichten die Referenten Grundsatzfragen. Sie wissen «Pubertät plus Smartphone plus Eltern», das erzeugt Spannung. Auf beiden Seiten. «Aber es lohnt sich, dran zu bleiben», unterstrich Joachim Zahn immer wieder. Phasen der Resignation seien dabei völlig normal. Und so kamen sich die Eltern fast vor wie in einer Selbsthilfegruppe, in der klar wird: Ich bin nicht allein mit meinem Problem. Die Fachleute machten vier Zugänge klar, die den Umgang mit dem breit gefächerten Thema erleichtern sollen: Verständnis für das Kind, Konfrontation und Kritik, Regulation und Einschränkung und Förderung. «Verständnis heisst, dass der Jugendliche seine Kumpels mit derben Ausdrücken benennen darf. Erwachsene aber nicht», erläuterte Joachim Zahn. Das sei dann parallel eine Frage der Einschränkung. Parallel solle versucht werden, die Kommunikation wieder ins gesprochene Wort zu bringen, und sei es am Telefon. Jugendliche versenden gerne einfach mal eine Nachricht. «Vernünftig miteinander am Telefon zu reden, sich mit Namen nennen zu müssen, das stresst sie schon», unterstrich Claudia Gada. Wenn dann noch die Kollegen daneben stünden und die Unterhaltung mit Mama mit­bekämen, sei es einfach nur peinlich. Grundsätzlich sei aber immer das persönliche Gespräch vorzuziehen. «Bei Whats­App entfallen Tonfall, Mimik, Gestik und Sprechtempo, Missverständnisse und falsche ­Interpretationen sind damit vorprogrammiert.»

Thema: Safer Sexting

Einen Schwerpunkt setzten die Referenten auf das Thema Sex. Sie entwarnten und warnten gleichzeitig. So sei es völlig normal, dass Jugendliche – vornehmlich Jungs – sich mit der beginnenden Pubertät pornographisches Material anschauen würden. «Bei Eltern wirkt sich der gemeinsame Konsum von Pornos zum Beispiel positiv auf die sexuelle Zufriedenheit aus», schmunzelte Joachim Zahn. Aber: Verschickt ein Jugendlicher Pornobilder an einen Empfänger unter 16 Jahren, macht er sich strafbar. Und nicht selten würden solche Fälle auch geahndet. Zurzeit seien dabei vor allem «Porno-Sticker» in. Das seien Bilder mit anzüglichen Sex-Stellungen. «Dann wird dort beispielsweise der Kopf des Lehrers draufgebastelt und das Bild in den Klassen-Chat gestellt», berichtete Claudia Gada. Und auch wenn das Bild auf dem eigenen Handy gelöscht werde, der Absender sei ­immer ermittelbar. Ausserdem empfehlen die Fachleute, das Thema «Safer Sexting» – das sicherere Versenden von intimen Fotos – mit den eigenen Kindern zu besprechen. Es sei auch gut, früh mit Aufklärung zu beginnen. «Wir waren in einer Primarschule, in der sich die Jungs gegenseitig Bilder von ihrem Penis zum Vergleich zugeschickt haben», erinnerten sie sich. Das Problem fängt also nicht erst in der Oberstufe an. Joachim Zahn beschwichtigte aber auch: «Wir haben früher von uns auch Selfies gemacht, nur mussten wir dafür in einen Fotoautomaten.» Er regte dazu an, die eigenen Kinder unablässig für mögliche Konsequenzen zu sensibilisieren. Wie würden sie reagieren, wenn persönliche Fotos von ihnen – oder auch Nachrichten – plötzlich öffentlich im Internet zugänglich wären?

Klare Regeln für den Konsum

Auf die konkrete Frage aus dem Plenum, wie viel Zeit am Handy denn wirklich zu viel sei, wollten sich die Vortragenden nicht ganz festlegen lassen. So gebe es die Zahl von 35 Stunden pro Woche, aber diese müsse angezweifelt werden. Wichtig sei, dass das Kind neben dem Gamen am Natel noch andere Beschäftigungen habe. Ebenso klare Regeln wie kein Medienkonsum während des Essens oder gemeinsamer Unternehmungen und kein Handy nachts im Kinderzimmer.

Grundsätzlich zog das Duo das Fazit: Die Probleme sind nicht so neu, die Wege sind nur anders. Daher sollten die Eltern sich auch selber beobachten. Müssten Erwachsene kurz warten, zückten sie auch sofort das Handy, um sich ablenken zu lassen. «Man könnte ja auch meditieren oder Beckenbodengymnastik machen», schlug Joachim Zahn vor.

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