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Chronik eines angekündigten Todes

Von Zolliker Zumiker Bote ‒ 20. Februar 2020

In ihrem neuen Spielfilm «Jagdzeit» greift die Schweizer Regisseurin Sabine Boss tragische Ereignisse in den Top-Etagen von Schweizer Firmen auf.

Als die Welt noch in Ordnung ist: Maier (Stefan Kurt) und Brockmann (Ulrich Tukur) beim gemeinsamen Mittagessen. (Bild: © 2019 Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.)
Als die Welt noch in Ordnung ist: Maier (Stefan Kurt) und Brockmann (Ulrich Tukur) beim gemeinsamen Mittagessen. (Bild: © 2019 Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.)

In einem Unternehmen ist es wie überall: Solange man mit dem Strom schwimmt, ist alles leicht; aber sobald man dagegen anschwimmt, nehmen die Risiken erheblich zu. Diese Erfahrung macht auch Alexander Maier (Stefan Kurt), Finanzchef bei einem in die Krise geratenen Schweizer Automobilzulieferer in Sabine Boss’ fiktiver Filmgeschichte, als er sich auf Machtkämpfe mit dem neuen CEO Hans Werner Brockmann (Ulrich Tukur) einlässt. Doch alles schön der Reihe nach.

Alle sind überrascht, als der Chef des Schweizer Traditionsunternehmens Walser, eines im Familien­besitz befindlichen Automobil­zulieferers, entlassen wird. Auch Finanzchef Maier, ein zuverlässiges und loyales Kadermitglied, war nicht informiert. Der neue CEO, ein Deutscher, wird von Firmeneigner und Verwaltungsratspräsident Walser (Pierre Siegenthaler) als ausgewiesener Turnaround-Manager angepriesen. Maier wird vom neuen CEO rasch umworben, damit er Teil der neuen Führungscrew wird, und mit einem Büchlein mit den Aphorismen und Weisheiten von Yamamoto Tsunetomo beschenkt, einem Samurai, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte. Maier, beeindruckt von so viel kosmopolitischer Bildung, fängt an zu lesen. Und mit der Zeit nimmt das Denken des japanischen Kriegers immer mehr Einfluss auf das Denken und Handeln des überaus korrekten und zugleich etwas biederen Schweizers.

Den richtigen Moment verpasst

Noch am gleichen Abend sagt Maier Brockmann zu und lernt am nächsten Tag im Rahmen einer Geschäftsleitungssitzung die bisherigen und neuen Abteilungsleiter kennen. Und es ist wohl das erste, aber nicht das letzte Mal, dass Maier den richtigen Moment für seinen Absprung verpasst hat. Die rasch erkennbare forschere Gangart des Deutschen – «Kapiert?» – irritiert und motiviert die Schweizer Belegschaft zugleich. Aber schon bald nehmen die Spannungen zwischen CEO und CFO immer mehr zu, als unterschiedliche Auffassungen über die einzuschlagende neue Geschäftsstrategie zutage treten.

Maier hat auch privat zu kämpfen und wird zunehmend einsamer. Seine bereits ausgezogene Frau beharrt auf der Scheidung. Für seinen Sohn findet er, obwohl er sich bemüht, letztendlich auch keine Zeit. Und dem deutschen Durch­setzungsvermögen ist der Schweizer schliesslich ebenfalls nicht gewachsen. Sabine Boss zeichnet unaufgeregt und solide sowie mit viel Einfühlungsvermögen die Entwicklungsschritte nach, die schliesslich zum Drama führen. Ein Drama, wie es in der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte effektiv verschiedentlich vorgekommen ist. Der Film lebt zu einem grossen Teil vom Zweikampf zwischen Maier und Brockmann bzw. zwischen Kurt und Tukur sowie ihren zum Teil subtilen und weniger subtilen Schachzügen, um den jeweiligen Gegner auszumanövrieren. Und wie im Film des St. Galler Polizeihauptmanns Paul Grüninger spielt Stefan Kurt den moralisch bewussteren Part, der sich aber letztlich nicht durchsetzen kann. Der spannungsreiche Film, vom Schweizer Fernsehen SRF mitproduziert, setzt Schweizer TV-Prominenz für Nebenrollen ein und lädt auf vielfältige Art und Weise zum Nachdenken ein.

Unser Filmkritiker Daniel Frey meint: 4 von 5 Sternen.

«Jagdzeit» (2020), Drama, 1h 31 min, ab 20. Februar 2020 in den Zürcher Kinos.

Trailer zum Film

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