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Anna Locher, die erste Kindergärtnerin in Zollikon

Von Adrian Michael ‒ 28. Februar 2020

Dass in Zollikon eine Strasse oder ein Weg neu benannt wird, kommt selten vor. Im Februar 2020 wurde bekannt, dass im Zollikerberg ein Weg nach der Kindergärtnerin Anna Locher benannt wurde. Wer war Anna Locher? Porträt einer aussergewöhnlichen Frau.

Anna Locher mit ihrer ersten Kindergartenklasse im Jahr 1900.  (Bild: J. Sax-­Wyss)
Anna Locher mit ihrer ersten Kindergartenklasse im Jahr 1900.  (Bild: J. Sax-­Wyss)

1848 schon wurde in Zollikon für Kinder ab dem vierten Lebensjahr eine Kleinkinderschule eingerichtet. Als 1898 die damalige Lehrerin zurücktrat, beschlossen Schulpflege und Gemeinderat, einen Kindergarten nach Friedrich Fröbels Konzept eines «natürlichen Unterrichts» einzurichten. Da in St. Gallen ab 1873 Kindergärtnerinnen nach Fröbels Grundsätzen ausgebildet wurden, kam im April 1899 die zwanzigjährige Anna Locher nach Zollikon. Im ehemaligen Restaurant Schönegg an der Ecke Alte Landstrasse/Zollikerstrasse begann sie mit einem Jahresgehalt von 900 Franken ihre Tätigkeit. Später zog Anna Locher mit ihrem Kindergarten in das Schulhaus Chirchhof.

Bis 1943 blieb Anna Locher die einzige Kindergärtnerin Zollikons. In diesen 44 Jahren betreute sie in Klassen von manchmal 60 und mehr Kindern gegen 1400 Kindergärtner. Für die Kinder aus dem Zollikerberg war der Weg zu weit, dort wurde der erste Kindergarten erst 1926 eingerichtet.

Eine moderne Kindergärtnerin

Über Anna Locher schrieb der Präsident der Museumskommission Richard Humm 1981: «Auf einzigartige Weise wusste die junge Kindergärtnerin bei ihren Schülern die Konzentration, ihre Selbstständigkeit, ihr Wissen und ihre intellektuellen Fähigkeiten und handwerklichen Fertigkeiten zu wecken und zu fördern.»

Anna Locher führte die Kinder weg von vorfabrizierten Spielsachen und bastelte diese mit den Kindern selbst. In ihrem Schulzimmer stand eine Nähmaschine und an einem Sägebock konnten sich die Kleinen im Umgang mit der Säge üben. Auf dem Schulhausplatz, am Waldrand oder im Wald beim «Chüelen Grund» legte sie mit ihren Kindern Gärten an. Früh erkannte sie die Wichtigkeit des Singens, Spielens und Dramatisierens für die seelische Entwicklung der Kinder: Neben zahlreichen Liedern studierte sie mit den Klassen Theaterstücke und Weihnachtsspiele ein, für die sie die Kostüme zusammen mit den Kindern selber herstellte. Auf Lehrausgängen durchstreifte sie mit ihren Schützlingen den Wald und auf verkehrsreichen Strassen führte sie die Kinder an einem langen Seil, in das Querhölzer eingeknüpft waren.

Eine begabte Fotografin

Anna Locher war auch eine begabte Fotografin, die immer wieder ­Augenblicke aus ihrem Berufsleben mit der Kamera festhielt, mehrere hundert Aufnahmen sind erhalten geblieben.

Beim Betrachten der Kinderfotografien fällt auf, dass viele Gesichter ernst, traurig und verängstigt wirken – nichts von unbeschwertem Kinderleben. Welch tragische Schicksale sich dahinter verbergen, kann man sich kaum vorstellen. Umso wichtiger deshalb die Arbeit Anna Lochers, die ihr Möglichstes tat, solchen Kindern durch ihre menschliche Wärme ein paar unbeschwerte Stunden ermöglichen zu können.

Ein erfülltes Leben

Schon als Mädchen soll die kleine Anni Locher gesagt haben, sie wünsche sich keinen Ehemann, dafür viele Kinder. Geheiratet hat Anna Locher tatsächlich nie, dafür begleitete sie viele hundert Kinder auf ihrem Weg. Sie unterrichtete, bis sie 1943 das Pensionsalter erreichte. Am 17. Dezember 1956 verliess sie Zollikon und zog in ein Altersheim in St. Gallen. Dort verstarb sie am 7. April 1968 im Alter von 89 Jahren. Die Urnenbestattung fand zehn Tage später auf dem Friedhof Zollikon statt.

Würdigung

1981/82 fand im Ortsmuseum Zollikon eine Sonderausstellung statt: «De Tante Locher ihri Gvätti und de Chindsgi vo hütt». Zahlreiche Fotografien und eine Fülle von Gegenständen wie ein Verkäuferliladen, Puppenstuben oder ein Kasperlitheater vermittelten einen Eindruck ihres Schaffens.
Im Februar 2020 beschloss der ­Gemeinderat, den bis anhin nicht benannten Weg von der Rosengarten-­ bis zur Rüterwiesstrasse «Anna-­Locher-­­Weg» zu nennen. Auch wenn der Weg mit Anna Locher nicht viel zu tun hat: Verdient hat sie die Würdigung trotzdem. Die grösste Würdigung war wohl jedoch die Hochachtung, mit der auch noch Jahrzehnte später Ehemalige von der Zeit sprachen, die sie bei «Tante Locher» verbringen durften.

Eine ausführliche Würdigung Anna Lochers erscheint im kommenden Zolliker Jahrheft. Die Geschichte des Kindergartens im Zollikerberg beschreibt Martin Hübner im Jahrheft 2018.

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