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Die Jugend trifft sich im Netz

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 24. April 2020

Jugendliche leiden unter dem Coronavirus, auch wenn sie nicht erkrankt sind. Alexandra Matulla (Jugendbeauftragte aus Zollikon), Tobias Berndt und Line Kacprzak (Jugendarbeitende aus Zumikon) über die Auswirkungen des Lockdowns für Teenager.

Für Jugendliche ist die Clique ja oft wichtiger als die eigene Familie und somit das fehlende Zusammentreffen eine harte Belastung. Warum ist diese Beziehung im Jugendalter so bedeutsam?

Alexandra Matulla: Die Pubertät ist die Zeit, in der junge Menschen nach Autonomie streben. In ihrer kognitiven Entwicklung sind Jugendliche ihren Eltern Stück für Stück ebenbürtiger, und sie beginnen ihren Platz in der Welt zu suchen. Dabei nehmen Gleichaltrige eine zentrale Rolle ein, da sie ein gutes Lernfeld für die Auseinandersetzung mit Werten und Normen bieten, die sich von denen der Kernfamilie unterscheiden. Cliquen und auch enge Freundschaften vermitteln Jugendlichen zudem oft Wertschätzung. Auch geben Cliquen den Raum, Rituale des Erwachsenenlebens zu testen, die aus einer soziologischen Perspektive den Übergang vom Kind zum Erwachsenen markieren. So wird gemeinsam Alkohol getrunken oder es werden erste sexuelle Erfahrungen gemacht. Dieses ganze Lernfeld fehlt in der aktuellen Situation und die Jugendlichen sind dazu gezwungen, Zeit wieder vor allem in ihrer Kernfamilie zu verbringen.

Tobias Berndt: Daher empfehlen wir Eltern, ihren Teenagern wenige Kontakte zu Freunden, die ihrerseits auch seit einigen Wochen in Isolation zu Hause leben, zu ermöglichen; in Absprache, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Ein Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin tut jetzt sicher gut.

Gemeinhin hatte man den Eindruck, die Jugendlichen hingen alleine zu Hause herum und kommunizierten lediglich per Handy. Das ist dann wohl ein Trugschluss, oder?

Line Kacprzak: Wir denken, hier sind Einzelfälle beschrieben. Es wird gerne vergessen, dass die Schülerinnen und Schüler im Schulbetrieb sehr viele Kontakte und regen Austausch haben. Ein Wochentag ist also meistens abwechslungsreicher als ein Arbeitsalltag von Erwachsenen. Die Kontakte in den sozialen Medien sind nur eine Ergänzung zu den realen Treffen.

Alexandra Matulla: Als der Bundesrat den Lockdown der Schulen für drei Wochen erklärte, waren sehr viele Jugendliche auf den Strassen von Zollikon unterwegs und feierten diesen Entscheid. Auch in den Wochen danach waren noch viele im öffentlichen Raum anzutreffen: Sie nutzten die Sportanlagen oder sassen zusammen. Sie erklärten den Jugendarbeitenden, zu Hause sei ihnen langweilig. Dass mittlerweile nur noch wenige Jugendliche in der Öffentlichkeit anzutreffen sind, führen wir auf die Verstärkung der Massnahmen und auch deren Durchsetzung zurück und nicht darauf, dass Jugendliche nur mehr mittels sozialer Medien kommunizieren würden. Im Gegenteil: In sogenannten normalen Zeiten werden öffentliche Plätze rege von Jugendlichen belebt.

Welche Wege finden die jungen Erwachsenen jetzt, um sich auszutauschen?

Alexandra Matulla: Jugendliche nutzen soziale Medien ja nicht erst seit der Coronakrise. Sie sind erfahren und geübt in verschiedenen Netzwerken. Da die persönlichen Begegnungen der Jugendlichen eingeschränkt sind, nutzen sie ihre sozialen Medien derzeit natürlich verstärkt – wie viele Erwachsene auch.

Tobias Berndt: Instagram, das Videokonferenztool Houseparty, TikTok und Messengerdienste sind gerade jetzt sehr gefragt. Wir erleben auch, dass sich viele Jugendliche weiterhin draussen treffen, allerdings nicht mehr in grossen Gruppen wie noch vor ein paar Wochen, sondern meistens zu zweit oder zu dritt.

Können Sie als Jugendbeauftragte Hilfe oder Tipps geben?

Line Kacprzak: Wir sind für die Jugendlichen über die sozialen ­Medien erreichbar. Für Tipps, aber auch, um einfach da zu sein. Unsere Tipps gegen Langeweile auf ­Instagram oder in unserer ­Jugendapp, die im Appstore von jugendarbeit.digital zu finden ist, sind bei den Zumiker Jugendlichen gut angekommen. Ausserdem sind wir nun vermehrt unterwegs, treffen einzelne Jugendliche oder ­kleine Gruppen im Aussenraum an und sind somit nach wie vor als Ansprechpersonen für sie präsent – selbstverständlich unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes. Es freut uns sehr, wie wir so in direktem Kontakt mit ihnen stehen und die Jugendlichen unsere Gesprächsbereitschaft dankend annehmen.

Alexandra Matulla: Wir haben dieses Jahr den Auftrag der Gemeinde, neben dem Betrieb des Jugis auch aufsuchend unterwegs zu sein. Das heisst: Die Jugendarbeitenden sind regelmässig zu Fuss oder mit dem Velo im Gemeindegebiet unterwegs, pflegen den Kontakt zu Jugendlichen und sprechen auch aktiv Jugendliche an, die sie noch nicht kennen. Nachdem wir den Betrieb des Jugis derzeit einstellen mussten, sind die Jugendarbeitenden Michael Germann und Nadia ­Honarchian viel mehr unterwegs. Zudem haben wir aufgrund der aktuellen Lage ein neues Angebot aus dem Boden gestampft, mit dem wir jene Jugendlichen erreichen, die zu Hause bleiben. Wir bieten damit ein virtuelles Jugi an. Es funktioniert wie ein herkömmliches Tool für Online-Meetings. Allerdings wird das virtuelle Jugi stets von einem Zolliker Jugendarbeitenden begleitet, und es gelten die gleichen Umgangsregeln wie im realen Jugendtreff. Das virtuelle Jugi hat auch feste Öffnungszeiten, zu denen die Jugendlichen ihre bekannten Jugendarbeitenden treffen können. Die Technik unseres virtuellen Jugis basiert auf einem Open Source Code, und es werden keine Daten der Jugendlichen kommerziell oder zu anderen Zwecken weiterverwendet.

Engagieren sich Jugendliche nun ehrenamtlich bei Helfergruppen oder Nachbarschaftshilfe?

Alexandra Matulla: Solche sind uns nicht konkret bekannt, aber in den Gesprächen mit den Jugendlichen wird deutlich, dass ihnen durchaus bewusst ist, dass es Risikogruppen gibt, die etwa beim Einkaufen Hilfe benötigen.

Tobias Berndt: Bei uns im Freizeitzentrum engagieren sich das ganze Jahr über Jugendliche ehrenamtlich. Auch jetzt sind Jugendliche auf uns zugekommen, um zu fragen, wie sie helfen könnten. Sie gehen beispielsweise für die Risikogruppe einkaufen oder verteilen Informationsflyer der Nachbarschaftshilfe in den Briefkästen.

Besonders schwierig wird es für die, die nach dem Sommer eine Ausbildung beginnen wollen und noch keine Stelle haben. Haben Sie damit Erfahrung?

Line Kacprzak: Laut dem Lehrstellennachweis LENA hatte es im Kanton Zürich kürzlich über 3500 offene Lehrstellen. Die Chance, noch eine geeignete Lehrstelle zu finden, ist also durchaus vorhanden. Wir helfen gerne bei der Suche nach einer Ausbildung und beim Erstellen von Bewerbungsdossiers. In Zumikon ist dieses Feld jedoch überschaubar, da hier eher Wert auf eine gymnasiale Ausbildung gelegt wird.

Alexandra Matulla: Für Jugendliche ist diese Zeit, wenn viele andere bereits eine Anschlusslösung haben, jedes Jahr schwierig. Es ist weniger die Angst, keine Stelle mehr zu finden, als der Druck, endlich eine erfolgreiche Bewerbung zu schaffen. In diesem Sinne sehen wir die aktuelle Situation eher als Verstärker einer sich sowieso jährlich wiederholenden Phase an.

Könnte die Jugendarbeit als Vermittler zwischen Schülern und Lehrbetrieben fungieren?

Alexandra Matulla: Unser Auftrag ist, Jugendliche in allen ihren aktuellen Lebenslagen zu begleiten und zu unterstützen. Natürlich ist auch der Übergang von der Schule in das Berufsleben ein wichtiges Thema. Hier unterstützen wir die betroffenen Jugendlichen fallbezogen, wenn sie sich Unterstützung von der Jugendarbeit wünschen. Unsere Angebote sind ja alle freiwillig. In und um Zollikon stehen den ­Jugendlichen neben der MOJUGA auch Fachstellen wie Samowar, BIZ oder kabel zur Verfügung. Wir sind mit diesen Stellen gut ­vernetzt und können Jugendliche rasch weitervermitteln. Auf Wunsch begleitet ein Jugend­arbeitender die Jugendliche oder den Jugendlichen beim ersten Besuch einer Fachstelle.

Tobias Berndt: Dank unserer Jobbörse können Jugendliche aber auch Arbeitserfahrung sammeln, die sich im Bewerbungsprozess positiv auswirkt. Da wir die Berufswünsche der Jugendlichen erfragen, vermitteln wir gezielt jene Jobs an Jugendliche, die ihre Zukunft in dem jeweiligen Arbeitsfeld sehen. Auf Anfrage können sie uns auch als Referenz angeben. Nach jedem erfüllten Job beantragen wir nämlich ein Feedback der Arbeitgebenden zu den Jugendlichen. Gelegentlich kommen auch Anfragen vom Zumiker Gewerbe. Aber natürlich leidet auch die Jobbörse unter der Krise. Denn in Zeiten des ­Physical Distancing scheuen sich die Leute, Aufträge zu erteilen. Ein grosser Teil der Anfragen betrifft momentan die Kinderbetreuung, die unter diesen Umständen nicht machbar ist. Gerne nehmen wir jedoch Anfragen entgegen und klären dann von Fall zu Fall, ob der Auftrag machbar ist.

Glauben Sie, dass der Drogenkonsum bei Jugendlichen ansteigt, weil sie so frustriert oder auch ängstlich sind?

Line Kacprzak: Bis jetzt halten wir das eher für den Ausnahmefall. Frustration oder Angst sind sicher noch kein so grosses Thema, dass Zuflucht bei Drogen gesucht würde. Wichtig ist, dass die Familien Rezepte entwickeln, die einen möglichst gesunden Familienalltag sicherstellen.

Alexandra Matulla: Zunächst nehmen wir wahr, dass mit dem erlassenen Gruppenverbot der Sozialraum in der Öffentlichkeit wegfällt, in dem sonst in Ausgelassenheit Alkohol getrunken, geraucht und auch gekifft wird. Wir vermuten aber, dass einzelne Jugendliche trotzdem mehr Substanzen konsumieren, möglicherweise aus Langeweile, die sich durch die vermeintlich freie, da strukturlose Zeit ergibt. Aber das ist bislang nur eine Mutmassung, noch ist der Zeitraum zu kurz, um hierzu sichere Aussagen machen zu können.

* Da Zusammenkünfte in diesen Tagen nicht ratsam sind, wurden die Interviews schriftlich und getrennt voneinander geführt.

Offene Jugendarbeit in Zollikon und Zumikon

In der Jugendarbeit gehen Zollikon und Zumikon unterschiedliche Wege. In Zollikon wurde die Stiftung für Kinder- und Jugendförderung Mojuga mit der Übernahme der Offenen Kinder- und Jugendarbeit beauftragt. Als Jugendarbeitende sind Nadia Honarchian und Michael Germann an den beliebten Treffpunkten der Jugendlichen auf dem Gemeindegebiet unterwegs. Die fachliche Leitung liegt bei der Jugendbeauftragten Alexandra ­Matulla. Die Leistungen und Angebote der Offenen Jugendarbeit werden in einer Steuergruppe bestimmt. Diese besteht neben den Vertretern der Mojuga aus Gemeinderat Urs Fellmann (Ressort Gesellschaft) und Gemeinderätin Corinne Hoss-Blatter (Ressort Bildung) sowie Otto Bieri, Leiter Abteilung Gesellschaft und Stephan Jaggi, Leiter Sozialdienst.

In Zumikon wurde die Jugendarbeit von der Gemeinde an den Verein des Freizeitzentrums (FZZ) delegiert. Finanziert wird sie von der Gemeinde sowie der reformierten und der katholischen Kirche. Vertreter der beiden Kirchgemeinden sind auch im Vorstand des Freizeitzentrums vertreten. Als ­Jugendarbeitende sind Line ­Kacprzak und Tobias Berndt die Ansprechpartner.


Kontakt und Informationen

alexandra.matulla@mojuga.ch

jugendarbeit-zollikon.ch und mojuga.ch

jugendarbeit@zumikon.ch

www.instagram.com/jugendarbeit_zumikon

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