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«Mamma, was passiert, wenn man tot ist?»

Von Tobias Chi ‒ 15. Mai 2020

Ariela Sarbachers Debütroman handelt von einer komplexen Mutter-Tochter-Beziehung. Geschrieben hat die 55-Jährige das Buch zu einem grossen Teil in ihrem Arbeitsraum an der Binderstrasse in Zollikon.

Ariela Sarbacher

«Der Sommer im Garten meiner Mutter» erzählt vielschichtig und sensibel die Geschichte von Francesca und ihrer Mutter. Neben Zürich und Ligurien kommt im Roman auch Zollikon als Handlungsort vor. Ariela Sarbacher über unerwartete Erfahrungen beim Schreiben, abgesagte Lesungen und glückliche Erinnerungen an ihre Zolliker Kindheit.

Sie haben als Schauspielerin Karriere gemacht. Was hat Sie dazu bewegt, das Fach zu wechseln und einen Roman zu schreiben?

Für mich ist es nur in Teilen ein Wechsel, der sich fliessend ergab. Nach der Geburt meiner Töchter, 1999 und 2001, verzichtete ich für längere Zeit auf das Spielen. Dennoch wollte ich mich weiterhin künstlerisch ausdrücken und so begann ich, Gedichte zu schreiben. Beim Schreiben muss ich mich nicht anpassen. Ich habe das Ganze in der Hand, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin Schöpferin, Spielerin und Regisseurin. Das entspricht mir sehr, glaube ich. Ich bin ein Mensch, der gerne in der Stille vorankommt, aber ich brauche auch ein Publikum. Von der Erfahrung als Schauspielerin kann ich da nur profitieren. Ich spreche meinen eigenen Text statt einen anderen und agiere, indem ich die Feder führe. Das Zentrum zu finden, ist nicht anders als beim Spielen. Ich spiele auch auf dem Blatt.

«Der Sommer im Garten meiner Mutter» ist Ihr erster Roman. Welche unerwarteten Erfahrungen haben Sie beim Schreiben gemacht?

Dass sich der Stoff nicht linear verfolgen liess. Dass ich letztlich nur selber wissen konnte, wie der ­Roman werden und wann er fertig würde, trotz vieler hilfreicher ­Impulse von aussen. Ich habe gelernt, mich von den Meinungen anderer unabhängig zu machen und dem zu vertrauen, was für mich stimmt.

Ihr Buch handelt von der komplexen Beziehung der Ich-Erzählerin Francesca zu ihrer Mutter. Die Perspektive springt zwischen Mädchen, Teenagerin und erwachsener Frau hin und her. Wie ist dieses Erzählkonzept entstanden?

Lange Zeit habe ich nur aus der Figur der erwachsenen Francesca heraus geschrieben. Dadurch kam ich in Gefahr, auch immer wieder die Perspektive der Mutter einzunehmen, also nicht entschieden die Sicht der Tochter zu erzählen. Der Hinweis eines erfahrenen Lektors, dass es sich um das Buch der Tochter und nicht jenes der Mutter handle, half mir sehr, die Stimme der Francesca zu befreien. Plötzlich war ich in der Lage, sie in all ihren Facetten und Altern wahrzunehmen. Es dauerte nochmals lange, bis ich wusste, wie der Roman anfangen soll, nämlich mit dieser ersten Frage, die Francesca ihrer Mutter stellt: «Mamma, was passiert, wenn man tot ist?» Von da an war ich frei, in den Zeiten zu springen, und so ist dieses Prinzip der Verschachtelung entstanden. Manchmal kommen mir Babuschka-Puppen in den Sinn, wenn ich an die Frauenlinie der Familie mütterlicherseits denke.

Francescas Blick auf die Mutter, die Familie und auf sich selbst ist so scharf, analytisch, intim und vertraut, dass man sich fragt, wie viel Autobiographisches in Ihrem Buch steckt.

Der Roman ist autobiografisch geprägt. Aber das ist nicht relevant. Es geht darum, was Literatur auszudrücken vermag.

Im Kapitel «Goldküste» zieht das Mädchen Francesca mit seinen ­Eltern in ein Haus mit Seeblick. Sie sind unter anderem in Zollikon aufgewachsen, richtig?

Ja, wir sind nach Zollikon gezogen, als ich acht war. Einen Teil meiner Kindheit und meiner Jugend habe ich hier verbracht.

Ihr Buch ist zu einem grossen Teil in Ihrem Arbeitsraum in Zollikon entstanden. Ist Zollikon für Sie ein inspirierender Ort?

Das Haus, in dem ich meinen Arbeitsraum habe, liegt an der Binderstrasse, oberhalb des Hauses, in dem ich aufgewachsen bin. Einen besseren Ort hätte ich gar nicht finden können. Mein damaliges Zuhause gibt es nicht mehr, nur den Garten. Meine Jahre in Zollikon habe ich als eine glückliche Zeit in Erinnerung. Zollikon ist aber auch ein Ort des Gewesenen, das nicht mehr ist. Inspirierend und zugleich ein Ort der Sehnsucht.

Neben Zürich und Zollikon spielt in Ihrem Roman ein Küstenort in Ligurien eine wichtige Rolle, wo die Familie der Mutter herkommt. Ihre Beschreibungen dieses Ortes wecken die Sehnsucht nach einem Italien, wie man es aus Filmen der 1970er-Jahre kennt. Ist von diesem Italien etwas übriggeblieben?

In Ligurien auf jeden Fall. Die Küstenorte, mit Ausnahme der Cinque Terre, sind vom grossen Tourismus zum Glück verschont geblieben. Das Bahnhofsgebäude ist immer noch dasselbe und auch sonst hat sich in der Stadt erstaunlich wenig verändert. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass sehr viele ältere Menschen dort leben. Einzig die Seesterne und die zahlreichen Muscheln, die an den Felsen klebten, als ich ein Kind war, sind praktisch verschwunden. Übrigens, auch Zollikon hat seinen Kern bewahrt, zumindest nach aussen hin. Ich kenne mich zwar nicht mehr so gut aus, fühle mich aber immer noch von hier.

Die Corona-Krise hat öffentliche Veranstaltungen derzeit unmöglich gemacht. Auch Ihre Buchvernissage, die am 6. April im Literaturhaus Zürich hätte stattfinden sollen, wurde abgesagt. Gibt es Pläne für einen neuen Termin?

Gesa Schneider, die Leiterin des Literaturhauses Zürich, hat das Buch auf digitalem Weg präsentiert. Das Theater Winkelwiese plant ein Fest für mein Buch im September. Wegen der aussergewöhnlichen Lage wird es in einem Zelt auf der Guggach-­Brache neben dem Radiostudio in Zürich stattfinden. Ich hoffe natürlich, der Einladung an das Literaturfestival Leukerbad folgen zu können, und dass die für «Zürich liest» im Herbst geplanten Lesungen stattfinden können. Doch wie wir alle wissen, steht das in den Sternen.

Sie unterrichten auch Präsenztraining und Auftrittskompetenz. Konnten Sie von dieser Tätigkeit als Schriftstellerin profitieren?

Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit besteht darin, anderen einen Weg zu zeigen, wie sie sich von dem frei machen können, was sie bedrängt und daran hindert, sich frei zu bewegen. Es ist nicht einfach, an sich selbst heranzukommen. Es geht darum, die Strategien zu entschlüsseln, die wir anwenden, um einen solchen Teufelskreis aufrechtzuerhalten statt ihn zu durchbrechen. Dabei geht viel Energie verloren. Ein solcher Arbeitsprozess erfordert viel Zeit. Ich habe gelernt, einen langen Atem zu entwickeln, den es auch zum Schreiben braucht. Wenn es schwierig wird, wenn es stockt, lohnt es sich, den Stift nicht aus der Hand zu legen und weiter zu probieren. Dann kommen wirklich kreative Lösungen zustande.

Schreiben Sie bereits an einem neuen Projekt?

Ich arbeite gerade an etwas, das nicht vorgesehen war, und zwar an einem Tagebuch über diese merkwürdige Zeit. Es gibt Pläne es als Buch herauszugeben.

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