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Demokratie in Zeiten von Corona

Von Tobias Chi ‒ 5. November 2020

Gemeindeversammlung mit vielen leeren Stühlen
Viele leere Stühle an der Gemeindeversammlung in Zumikon. (Bild: chi)

Hohe Sicherheitsauflagen, geringe Teilnehmerzahlen: Trotz Pandemie müssen Zollikon und Zumikon an Gemeinde­versammlungen bis Jahresende ihre Budgets abnehmen lassen.

Die Teilnehmerzahlen an den jüngsten Gemeindeversammlungen waren rekordverdächtig tief: In Zumikon wurden Ende September 79 Stimmberechtigte gezählt, in Zollikon einen Monat später nur 64. Diese Zahlen haben sicher auch mit den hohen Sicherheitsauflagen zu tun. In den Gemeindesälen galten zumindest teilweise Maskenpflicht und strikte Abstandsregeln, auf die traditionellen Apéros wurde verzichtet.
Inzwischen hat der Bundesrat die Teilnehmerzahl für Veranstaltungen auf 50 Personen beschränkt. Dass Gemeindeversammlungen von dieser Bestimmung ausgenommen sind, geht auf das Bestreben zurück, demokratische Prozesse so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Sicher ist aber auch: Je mehr Stimmberechtigte – sei es aus Angst vor dem Virus oder aus Solidarität gegenüber den Mitmenschen – zu Hause bleiben, desto weniger repräsentativ ist das Abstimmungsergebnis an Gemeindeversammlungen.

Im Kanton Zürich müssen bestimmte Geschäfte zwingend an einer Gemeindeversammlung behandelt werden, zum Beispiel die Abnahme der Jahresbudgets. Das Gesetz schreibt hier Unmittelbarkeit vor, die Möglichkeit zum direkten Austausch. Ein Ausweichen an die Urne ist bis dato nicht möglich, doch arbeitet der ­Kanton gerade ein neues befristetes Gesetz aus (siehe unten).

Mit Notbudget ins neue Jahr?

Die Zumiker sollen das Gemeindebudget 2021 am 28. November abnehmen, die Zolliker das ihre am 2. Dezember. Müssten die Gemeindeversammlungen wegen einer Verschlimmerung der Lage abgesagt werden, bliebe den Gemeinden nur die Möglichkeit, mit einem Notbudget ins neue Jahr zu starten. Das hiesse, dass nur gerade die unerlässlichen Ausgaben getätigt werden dürfen, etwa für Sozialhilfe, Löhne des Personals, gesetzlich und vertraglich festgeschriebene Aufgaben wie der Unterhalt der ­öffentlichen Infrastruktur. «Ein ­solcher Minimalbetrieb wäre angesichts der allgemeinen Verunsicherung sicher das falsche Signal», sagt der Zolliker Gemeindepräsident Sascha Ullmann.

Sollte der Kanton die anstehenden Gemeindeversammlungen kurzfristig verbieten, so hofft Sascha Ullmann auf klare Direktiven des Regierungsrats. Es bestünde zum Beispiel die Möglichkeit, virtuelle Gemeindeversammlungen zuzulassen: Diese Lösung wäre für den Zolliker Gemeindepräsidenten demokratiepolitisch jedoch ebenso problematisch wie die Durchführung einer physischen Versammlung: «Weil nicht alle gleich versiert sind im Umgang mit dem Computer, würde wieder ein Teil der Bevölkerung benachteiligt.»

Anders als in Zollikon stehen an der Gemeindeversammlung in Zumikon nicht allein das Budget 2021, sondern noch fünf weitere Traktanden auf der Liste. «Wir hoffen fest darauf, die Veranstaltung wie geplant durchführen zu können», sagt Gemeindeschreiber Thomas Kauflin. «Uns ist bewusst, dass eine Gemeindeversammlung mit Maske nicht besonders angenehm ist, doch halten wir uns hier streng an die Vorgaben von Bund und Kanton.» Theoretisch wäre es möglich, über die anderen Traktanden an der Urne abzustimmen. «Diese Entscheidung liegt aber nicht bei uns, sondern beim Kanton. Es bräuchte dazu eine Verordnung, welche die Gemeindeordnung übersteuert.»

Mehr Macht für Gemeinderäte?

Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Kanton den Gemeinderäten ad interim mehr Kompetenzen überträgt, damit diese in Eigenregie über ihre Jahresbudgets entscheiden können. «Das wäre sicher auch nicht die demokratischste Lösung», sagt Sascha Ullmann. «Andererseits setzt sich der Gemeinderat aus Personen zusammen, denen das Stimmvolk per Mehrheitsentscheid sein Vertrauen ausgesprochen hat.» Für den Zolliker Gemeindepräsidenten steht aber im Vordergrund, dass der Kanton mit einem Entscheid Klarheit schafft. «Wir setzen diesen Entscheid dann um. Ohne gesetzliche Grundlage im kantonalen Recht sind uns die Hände gebunden.»

Thomas Kauflin glaubt nicht unbedingt an eine Kompetenzspritze für die Gemeinderäte. «Falls der Kanton hier überhaupt noch einschreitet, scheint mir die wahrscheinlichste Option ein genereller Stopp von Gemeindeversammlungen zu sein.» Was nicht heisst, dass sich der Zumiker Gemeindeschreiber diese Lösung wünscht: «Es ist alles für die Versammlung am 28. November vorbereitet. Nun würden wir sie auch gerne durchführen.»


Neues Gesetz

Am Mittwoch hat der Zürcher Regierungsrat beim Kantonsrat ein befristetes Gesetz beantragt, um Urnenabstimmungen in Gemeinden zu ermöglichen. Damit könnten die Gemeindevorstände auch über das Budget und den Steuerfuss 2021 an der Urne abstimmen lassen. Wenn der Kantonsrat
das Geschäft rasch behandelt, können Urnenabstimmungen über Gemeindebudgets ab dem 31. Januar 2021 stattfinden.

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