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Statement – 50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht im Kanton Zürich

Von Antje Brechlin ‒ 12. November 2020

Frauen mit Plakate am Demonstrieren
Im Vorfeld der kantonalen und eidgenössischen Wahlen demonstrierten Frauen in Zürich. (Bild: zvg)

50 Jahre nach Einführung des Frauenstimm- und Wahl- rechts im Kanton Zürich ist es für Frauen selbstverständlich, wählen zu dürfen. Erkämpft wurde dieses Recht von der Generation ihrer Mütter und Grossmütter. Doch Engagement kommt nie aus der Mode.

Stellen Sie sich vor, morgen sind Wahlen und Sie dürfen nicht wählen. Nur weil Sie eine Frau sind. Unvorstellbar, doch bis vor 50 Jahren war das Schweizer Realität. Das Land war eines der letzten in Europa, das den Frauen am 7. Februar 1971 das Stimm- und Wahlrecht zugestand. Fairerweise ist zu ergänzen, dass die Schweiz das erste Land war, in dem eine Volksabstimmung entschied, das heisst, der männliche Teil der Bevölkerung, denn in Europas parlamentarischen Demokratien setzten die Parlamente die politische Gleichstellung durch. Im Kanton Zürich bekamen die Frauen nach diversen negativen Entscheiden das kantonale Stimmrecht am 15. November 1970 zugesprochen. Was heute für junge Frauen selbstverständlich ist, hat die Generation ihrer Grossmütter hart erkämpft. Frauen engagieren sich heute politisch wie gesellschaftlich. Sie arbeiten, kümmern sich um die Familie. Sie leben selbstbestimmt. Sechs Frauen unterschiedlichen Alters aus unseren Gemeinden berichten über ihr Engagement und ihre Haltung.

Sechs Frauenpersönlichkeiten berichten über ihr politisches oder gesellschaftliches Engagement und darüber, wie wichtig es ist, Haltung zu zeigen.


«In der Pfadi lernt man mega viel fürs Leben»

Clelia Menzi, Zollikon, Studentin der Kommunikationswissenschaften und Medienforschung, Meitlipfadi-Abteilungsleiterin

Ich darf seit zwei Jahren abstimmen, und unter Freunden tauschen wir uns über Abstimmungsthemen oder auch -ergebnisse aus. Für mich ist es selbstverständlich, wählen zu dürfen. Ich musste nie dafür kämpfen, das hat die ­Generation meiner Grosseltern gemacht. Ich setze mich sehr für die Zolliker Meitli­pfadi ein. Vor einem Jahr habe ich die Abteilungsleitung übernommen. Es passt, dass ich mich dort engagiere, denn seit ich ein Kind war, gehe ich in die Pfadi. Dort habe ich so viele wichtige Dinge für mein Leben gelernt, das möchte ich gern an die noch jüngere Generation weitergeben. Zusammenhalt, sich durchsetzen, miteinander etwas bewegen, das Leben in der Natur geniessen, gegenseitiger Respekt und Toleranz, lebenslange Freundschaften – all das ist Pfadi. Als Abteilungsleiterin organisiere ich viele Dinge rund um die Pfadi. Der Aufwand ist gross, aber das ist es mir wert, denn die Pfadi ist ein bisschen eine Schule fürs Leben.


«Ich möchte lernen und mein Wissen und Können weiter geben»

Lena Etter, Zollikerberg, Physiotherapie-Studentin, engagierte Volleyballerin und Voltigiererin

Ich muss zugeben, politisch bin ich nicht besonders interessiert. Trotzdem gehe ich wählen und finde dies auch wichtig, denn letztlich betrifft es unsere Zukunft. Je nachdem, wie und wen wir wählen, kann es mit unseren Stimmen in die eine oder andere Richtung gehen. Für mich ist es unvorstellbar, dass Frauen bis vor 50 Jahren nicht wählen durften. Engagement finde ich sehr wichtig. Bei mir ist es das Volleyballspiel und das Voltigieren. Seit einem Jahr spiele ich Volleyball in Wetzikon und fahre für Match und Training von Zizers in Graubünden, wo ich studiere und unter der Woche wohne, nach Wetzikon. Zusätzlich spiele ich nun auch noch beim VBC Chur. Mir ist es wichtig, mit meiner Mannschaft etwas zu erreichen, es in die nächsthöhere Liga zu schaffen. Neben dem Volleyballspiel leite ich einmal im Monat das Turnhallentraining im Voltige. 15 Jahre lang habe ich diesen Sport betrieben und gebe jetzt mein Wissen und Können an den Nachwuchs weiter.


«Ein politisches Amt zu bekleiden, ist bereichernd»

Sylvie Sieger, Zollikon, Finanzvorsteherin der Gemeinde Zollikon

In unserer Familie wurde sehr viel politisiert. Mein Vater war sehr liberal und meine Mutter auf der konservativeren Seite. Es wurde folglich viel diskutiert, aber des­wegen nicht gestritten. Ich bin so aufgewachsen, dass jeder seine politische Meinung äussern durfte und trotz auch mal extremer Ansichten niemand ohne Respekt behandelt wurde. Jede Meinung war akzeptiert, aber es wurde kritisch debattiert. Durch die kontroversen Diskussionen wurde entweder das Gegenüber überzeugt, oder man stärkte sein eigenes Argumentarium. Mein Mann und ich haben versucht, und ich glaube, es ist uns gelungen, dies auch an unsere Kinder weiterzugeben. Eltern sollten wirklich versuchen, Kinder in ­Diskussionen einzubeziehen, bei gesellschaftlichen und vor allem bei politischen Themen. Ich habe unsere Teenager-Kinder oft überredet, mich an politische Podiumsdiskussionen zu begleiten, die sie dann rückblickend sehr spannend fanden. Das gehört zur Förderung und Bildung der Jugendlichen. Ich finde es schade, wenn Eltern nur Wert auf die Förderung der kleinen Kinder legen. Sie werden ins Fussballtraining, zum Musik- oder Sprachunterricht geschickt, aber bei der späteren politischen Bildung lehnen sich die Eltern zurück. Doch in der Familie ist es vorerst einfacher, sich bei unterschiedlichen Meinungen mit Interesse und Respekt zu begegnen. Wir alle können heute beobachten, dass bei vielen politischen Diskussionen der Andersdenkende in die Ecke gedrückt, niedergemacht oder gar ­beschimpft wird; ich denke an den Wahlkampf in den USA oder an «unsere» Konzernverantwortungsinitiative. Demokratie kann nämlich nur funktionieren, wenn jede und jeder seine Meinung äussern darf und alle mit Interesse und Respekt sich auf die Argumente der anderen einlassen. Der Trend, sich nur mit Gleichdenkenden zu umgeben, bedaure ich sehr. Ich wünsche mir, dass sich trotz dieser Entwicklung nach wie vor Frauen und Männer für ein politisches Amt entscheiden, denn es ist sowohl für die persönliche wie auch berufliche Entwicklung dienlich und sehr bereichernd.


«Jugendliche sollten schon ab 16 Jahren wählen dürfen.»

Karin Oberlin, Zollikon, Anwältin

Ich bin mit politisch interessierten Eltern aufgewachsen. Mein Vater kam mittags jeweils zum Essen nach Hause und hat die Zeitung gelesen. Dann wurde über die aktuellen Themen diskutiert. Mein Partner ist ähnlich aufgewachsen, und wir versuchen, diese Diskussionskultur auch unseren Kindern weiterzugeben. Sie sind zwar erst neun und fünf Jahre alt, aber wir beziehen sie in politische Diskussionen ein, versuchen die Materie so kindgerecht wie möglich rüberzubringen. Aktuell zum Beispiel beim amerikanischen Wahlkampf. Damit hoffen wir, ihr politisches Interesse zu wecken. Ich bin dafür, dass Jugendliche ab 16 Jahren wählen und abstimmen dürfen. Dass auch an Schulen gelehrt wird, sich einzubringen, und dass es wichtig ist, sich zu engagieren. Mir scheint, dass sich heute vor allem die ältere Generation politisch einbringt – gut sichtbar an den Gemeindeversammlungen. Die Beteiligung ist tief, meist sind es Vertreter der Generation Ü60, Ü70. Das prägt selbstverständlich die Abstimmungsergebnisse. Vielleicht nimmt diese Generation das Privileg des Wahl- und Abstimmungsrechts aber auch ernster, weil zumindest die Frauen noch dafür kämpfen mussten. Für sie war noch nicht alles selbstverständlich. Denn bis vor 50 Jahren – also bis zur Einführung des Frauenwahl- und Stimmrechts, wurde erst die Grundlage für eine Demokratie geschaffen, in der Frauen und Männer die gleichen Chancen haben und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass diese Generation mehr Zeit hat, sich mit Politik zu befassen.


«Frauen sind oft zu bescheiden.»

Trix Heberlein, Anwältin aus Zumikon. Ehemalige Zumiker Gemeinderätin, Kantonsrätin, Nationalrätin und Ständerätin

Engagement ist mir wichtig. Von 1979 an war ich 12 Jahre für die FDP im Zürcher Kantonsrat, von 1991 bis 2003 Nationalrätin. Von 2003 bis 2007 vertrat ich den Kanton Zürich im Ständerat. Aber bereits vor den politischen Ämtern habe ich mich engagiert, zum Beispiel als Freiwillige im Rechtsdienst der Frauenzentrale sowie in verschiedenen gemeinnützigen Stiftungen. Später arbeitete ich mit an der Vernehmlassung der Bundesverfassung. Danach fragte mich die FDP, ob ich mich politisch in der Gemeinde Zumikon engagieren wolle. Ich wollte. Mir wurden während meiner politischen Karriere nie Steine in den Weg gelegt. Im Gegenteil, in meinen ersten Jahren im Kantonsrat wurden Frauen, die sich engagierten, eher vorne platziert. Das allgemeine Gefühl in der Bevölkerung war damals: Ja, wir wollen, dass die Frauen mitbestimmen. Die Arbeit war auch mit ­Familie ganz gut zu bewältigen. Krippen hat es damals zwar noch nicht gegeben, aber ich hatte immer ein gutes Netzwerk aus gleichgesinnten Zumiker Frauen. Wir haben uns sehr gut organisiert und gegenseitig unterstützt, sodass meine beiden damals noch kleinen Töchter stets gut aufgehoben waren. Dank dem konnte ich an allen wichtigen Sitzungen und Sessionen teilnehmen. Meine Erfahrung war und ist, dass Frauen oftmals zu scheu sind und sich weniger zutrauen als Männer. Männer sagen viel schneller: Ja, das kann ich! Da können wir Frauen noch dazulernen.


«Die Ansprüche an Frauen sind heute anders als früher»

Verena Bührer, Juristin aus Zumikon, ehemalige Friedensrichterin, Bezirksrätin und Bezirksrichterin, heute Präsidentin des Frauenchors Zumikon und des Kiwanis Clubs Zollikon.

Mein Vater war damals ein vehementer Gegner des Frauenstimmrechts, was nicht ungewöhnlich war, denn Politik war früher eine absolute Männerdomäne. Die Frau gehörte an den Herd und Politik war Sache der Männer. Meine Mutter hat sich dem gefügt, wie die meisten Frauen damals. Meine Schwiegermutter war wohl eher eine Ausnahme. Sie setzte sich fürs Stimmrecht der Frauen ein und begründete ihre Haltung damit, dass Frauen von Amtspersonen respektvoller behandelt würden, wenn sie das Stimm- und Wahlrecht besässen. Persönlich glaube ich, dass der Respekt gegenüber Frauen mit deren Stimmberechtigung gestiegen ist.

Für mein Studium ging ich nach Genf, dort gab es das Stimm- und Wahlrecht für Frauen auf kantonaler und kommunaler Ebene ja bereits seit 1960. Ich habe meine Papiere dorthin verlegt, um dieses Recht in Anspruch nehmen zu können. Später in Zumikon bin ich der FDP beigetreten, um politisch tätig zu sein. So war ich während zehn Jahren Friedensrichterin in unserer Gemeinde, später Mitglied des ­Bezirksrates und anschliessend des Bezirksgerichtes. Diese Tätigkeiten erlaubten es mir, Beruf und Familie zu vereinen, es waren alles Teil­zeitverpflichtungen, die sich mit dem Stundenplan der Kinder weitgehend vereinbaren liessen. Insgesamt war ich fast 40 Jahre politisch tätig, zuletzt noch als Mitglied der Sozialbehörde Zumikon. Mein Eindruck ist, dass die jungen Frauen von heute ihre Rechte sehr wohl wahrnehmen, allerdings sind viele neben ihrem Engagement für die Familie noch teilweise berufstätig, weshalb eine politische Verpflichtung kaum mehr drin liegt. Seit meiner Pensionierung bin ich Präsidentin des Frauenchors Zumikon und seit kurzem Präsidentin des Kiwanis Clubs Zollikon.


Als erstes Land der Welt führte 1893 Neuseeland das Frauenwahlrecht auf nationaler Ebene ein. In Europa war Finnland 1906 ganz vorne dabei; es folgten unabhängige skandinavische Staaten. Von 1918 bis 1928 führten unter anderen Deutschland, Russland, Österreich, die USA, Grossbritannien, Frankreich und Italien das Frauenstimm- und Wahlrecht ein. In der Schweiz taten sich die Männer bekanntlich schwer mit der politischen Gleichberechtigung. Nach der historischen Abstimmung von 1971 bis zur Einführung des Frauenstimmrechts in allen Kantonen vergingen noch weitere 20 Jahre: Ende November 1990 entschied das Bundesgericht, der Kanton Appenzell Innerrhoden habe das Stimmrecht für Frauen einzuführen.


Im Jahr 1978 wurde Ursula ­Hildbrand als erste Frau in den Zolliker Gemeinderat gewählt. Während ihrer zwölfjährigen Amtszeit blieb sie die einzige Frau im Männergremium. Ein spannendes Portrait dieser Pionierin kann ab Anfang Dezember im Zolliker Jahrheft 2020 nachgelesen werden.

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