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Pioniereingriff im Kinderspital

Von Antje Brechlin ‒ 4. Februar 2021

Ralph Gnannt lebt mit seiner Familie im Zollikerberg. Er und sein Kollege Christian Bieli waren die ersten Ärzte in der Schweiz, die letztes Jahr zwei Säuglingen im Kinderspital Zürich einen biologisch abbaubaren Atemwegs-Stent implantiert haben. Den kleinen Patienten wurde damit die jahrelange Beatmung erspart. Sie können jetzt normal und selbstständig atmen.

Ralph Gnannt (Bild: zvg)
Ralph Gnannt (Bild: zvg)

Gratulation! Man kann sich vorstellen, dass der Eingriff den Kindern eine unglaubliche Verbesserung der Lebensqualität bringt. Für medizinische Laien wäre es hilfreich, Sie würden kurz erklären, wann der abbaubare Atemweg-Stent eingesetzt wird.

Der Stent ist eine Art Röhrchen, der in diesem Fall in die Luftröhre eingebracht wird und diese offenhält. Früher waren die Stents aus Metall und mussten nach einer gewissen Zeit entfernt werden. Meist, wenn die Kinder ein Stück gewachsen waren. Das hatte den Nachteil, dass die Stents oft mit dem körpereigenen Gewebe verwuchsen und schlecht zu entfernen waren. Der neue Stent löst sich innerhalb von drei Monaten auf. Dieser spezielle Atemwegs-Stent wird vor allem bei der sogenannten Tracheo- oder Bronchomalazie benötigt. Das ist eine Krankheit, bei der das Knorpelgewebe der Luftröhre oder der Bronchien zu weich ist, um die Atemwege offen zu halten. Diese klappen sozusagen zusammen und verunmöglichen es den Kindern, selbstständig zu atmen. Früher mussten die Patienten manchmal Monate oder jahrelang beatmet werden; nicht selten führte dies zu Komplikationen oder auch zum Tod der Kinder. Es war eine enorme ­Belastung für die Kinder und deren Familien.

Wie geht es den beiden Kindern, die den neuen Stent bekommen haben?

Beide können wieder ohne Unterstützung atmen. Die Luftröhre des vier Monate alten Mädchens ist wieder voll funktionstüchtig. Beim fünf Monate alten Jungen ist die Behandlung noch nicht abgeschlossen, aber es geht ihm sehr gut. Ohne diesen Stent hätten beide ­Kinder einen Luftröhrenschnitt erhalten und über mehrere Jahre maschinell beatmet werden müssen. Ein grosser Fortschritt.

Haben Sie Ihre Karriere geplant? Wie sind Sie beruflich zu dem geworden, der Sie heute sind?

Geplant hatte ich gar nichts. Ausser vielleicht, dass mich bereits während der Gymnasialzeit vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer interessierten. Zuerst wollte ich Biologie studieren, schrieb mich dann aber in Medizin ein, auch weil das Studium zu Beginn sehr breit gefächert, sehr naturwissenschaftlich aufgestellt ist. Damals gab es den «Medizinertest» noch nicht. Es schrieben sich extrem viele Studenten ein, die Selektion war überaus streng. Bei der Facharztwahl fand ich die Chirurgie faszinierend, schnupperte auch in die Radiologie und entschied mich, dort zu bleiben, weil es ein umfangreiches Gebiet ist. Auf der Radiologie ist der Tagesablauf in der Regel viel besser planbar, was nun auch dem Familienleben zugutekommt. Die chirurgischen Fächer verlangen da in der Regel viel mehr Flexibilität. Andererseits hat mir in der Radiologie der Kontakt zu den Patienten stark gefehlt. In der interventionellen Radiologie kann ich nun beide Gebiete miteinander verbinden. Wir operieren, während der zu operierende Bereich bildlich dargestellt wird. Bei der Stent-­Implantation zum Beispiel sehen wir ganz genau, an welcher Stelle der Stent eingesetzt werden muss, da die kranke Stelle während der Operation bildlich dargestellt wird. Also letztlich bin ich in der Medizin meinen Interessen gefolgt, und es zeigt sich, dass der eher unkonventionelle Weg gut für meine Laufbahn war. Jetzt passt irgendwie alles zusammen.

Das Kinderspital Zürich hat Sie für die Ausbildung als interventioneller Radiologe nach Toronto geschickt. Zwei Jahre haben Sie dort mit Ihrer Familie gelebt. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Es war eine grossartige Erfahrung! Am «Hospital for Sick Children» in Toronto habe ich wertvolles Wissen sammeln können, das ich jetzt hier im Kinder- und Unispital anwenden kann. Auch für die Familie war es eine tolle Erfahrung. Unsere jüngere Tochter Lily-Rose ist dort geboren. Wir sind als Familie gewachsen. Aber nach zwei Jahren haben wir uns auch gefreut, wieder zurückzukommen, denn vor allem die Winter sind in Toronto kalt und lang.

Sie arbeiten 20 Prozent im Zürcher Unispital und 80 Prozent im ­Kinderspital. Vor allem die Arbeit mit schwerkranken Kindern muss emotional belastend sein. Wie erholen Sie sich?

Erholung finde ich vor allem mit meiner Familie. Auch wenn es laut und quirlig bei uns zu- und hergeht. Wir leben an wunderschöner Lage im Zollikerberg. Wir geniessen es, hier zu leben. Unsere Nachbarn sind toll. Wir helfen uns gegenseitig, zum Beispiel mit der Betreuung der Kinder. Meine Frau und ich arbeiten beide 100 Prozent. Unsere Mädchen Lily-Rose und Juliette sind vier und neun Jahre alt. Sie besuchen den Kindergarten und die Schule, haben hier Freunde. Wir nutzen das Betreuungsangebot der Schule und fühlen uns rundum wohl. Ausserdem spiele ich beim TC Zollikerberg Tennis, das ist Lebensqualität, die ihresgleichen sucht.

Mit Ralph Gnannt sprach Antje Brechlin


Ralph Gnannt ist Facharzt für Radiologie und Kinderradiologie. Die Radiologie befasst sich mit der bildlichen Darstellung des menschlichen Körpers, seiner Organe, speziell eines Krankheitsprozesses. Dazu werden aber auch bilddiagnostische Methoden gezählt, die ohne Röntgenstrahlen funktionieren, wie Ultrasonographie oder Magnetresonanz.

Bei der interventionellen Radiologie werden mittels Bildsteuerung – zum Beispiel Ultraschall, Fluoroskopie, Computertomographie oder Magnetresonanztomographie – Eingriffe bei Kindern meist unter Vollnarkose vorgenommen. Die interventionelle Kinderradiologie ist also ein kleiner, hochspezialisierter Bereich der Radiologie, deren ­Experten nur an grossen Spitälern wie dem Kispi oder Universitätsspitälern zu finden sind.

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