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«Absolut unnütz»

Von Simon Bühler ‒ 8. Juli 2021

In der Debatte um eine geschlechtergerechte Sprache und geschlechterneutrale WCs an Stadtzürcher Schulen fragten wir uns, wie die Verantwortlichen der Zolliker und Zumiker Schulgemeinden mit dem Thema umgehen. Die Zolliker Schulpflegepräsidentin Corinne Hoss-Blatter und ihr Zumiker Kollege Andreas Hugi sowie Schülerinnen und Schüler der gemeinsamen Sekundarschule nehmen Stellung.

An der Sekundarschule Buechholz polarisiert die Gender-Debatte. (Bild: ab)
An der Sekundarschule Buechholz polarisiert die Gender-Debatte. (Bild: ab)

Im Juni veröffentlichte die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich unter Berufung auf den Lehrplan 21 eine Broschüre für Gleichstellung in der Schule, die für viel Gesprächsstoff gesorgt hat. Die Broschüre mit Tipps für Lehrerinnen und Lehrer beinhaltet verschiedene Empfehlungen. Etwa: «Vereinbaren Sie mit den Schülerinnen und Schülern, eine geschlechtergerechte Sprache im Unterricht zu verwenden.» Oder: «Legen Sie Konsequenzen für die Nichteinhaltung des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs fest, etwa, dass alle ­einander korrigieren.»

Der Zumiker Schulpflegepräsident Andreas Hugi kann damit wenig anfangen: «Der Bildungsauftrag der Volksschule fördert die Chancengleichheit, die Gleichstellung der Geschlechter und wendet sich gegen alle Formen der Diskriminierung. Nach diesen verbindlichen Grundlagen unterrichten unsere Lehrerinnen und Lehrer. Da braucht es keine Broschüren von Fachstellen, welche ungefragt und ohne mit den Schulen abgestimmt worden zu sein, verschickt werden.» Nicht weniger vernichtend lautet der Kommentar von Zollikons Schulpflegepräsidentin Corinne Hoss-Blatter: «Ganz generell finde ich die Broschüre absolut unnütz. Da hat sich eine Fachstelle wohl legitimieren müssen und arbeitet um des Arbeitens Willen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer halten sich an die im Volksschulgesetz vorgegebenen Richtlinien. Mehr braucht es nicht.»

In einer Empfehlung der Broschüre heisst es: «Verwenden Sie den ­Genderstern, wenn in einem Text alle Geschlechter angesprochen werden.» – Welche Haltung haben die Präsident*innen der Schulpflegen Zollikon und Zumikon zur Verwendung des Gendersterns (*), mit dem auch Transmenschen und Nichtbinäre angesprochen werden sollen? «Ich persönlich halte nichts davon», sagt Corinne Hoss-Blattner und ergänzt: «Mir liegen korrekte Orthographie und Grammatik viel mehr am Herzen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer müssen die Vorgaben des Lehrplans umsetzen, dort hat der Genderstern zum Glück noch keine Aufnahme gefunden.» Andreas Hugi wehrt sich nicht a priori gegen den Genderstern, sieht die Schule aber nicht in der Verantwortung, die Etablierung zu beschleunigen: «Vielleicht wird der Genderstern irgendwann zum Sprachstandard, vielleicht auch nicht. Es ist nicht die Aufgabe der Volksschule, Sprachtrends so rasch als möglich umzusetzen, sondern unseren Schülerinnen und Schülern Sicherheit im Sprachgebrauch zu vermitteln.»

Eine weitere Empfehlung aus der Broschüre lautet: «Verwenden Sie bewusst nur die weibliche Sprachform mit der Erklärung, das männliche Geschlecht mitzumeinen, und reflektieren Sie gemeinsam die ­Reaktionen.» Kritikerinnen wie die Stadtzürcher Lehrerin und FDP-­Gemeinderätin Yasmine Bourgeois irritiert die Broschüre mit solchen Empfehlungen: «An der Volksschule arbeiten zu 80 Prozent Frauen», sagt sie gegenüber dem Tages-­Anzeiger, «da werden doch keine patriarchalen Rollenbilder mehr vorgelebt.» Gewisse Stimmen gehen noch einen Schritt weiter und drehen den Spiess um. So sehen sie im weiblich geprägten Lehrkörper die Gefahr einer Art «Matriarchalisierung» des Bildungssystems, wo typisch männliche Qualitäten möglicherweise zu wenig berücksichtigt, gefördert und honoriert werden. Corinne Hoss-Blatter ist diese Perspektive neu: «Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt, denn in Zollikon haben wir eine viel ausgeglichenere Verteilung der Geschlechter bei den Lehrerinnen und Lehrern, ich schätze etwa 60:40, da besteht kaum Gefahr, auf die eine oder andere Seite zu schwenken.» Und Andreas Hugi ergänzt: «Die Erziehungsaufgabe, insbesondere die Vermittlung von Werten, ist eine gemeinsame Aufgabe von ­Elternhaus und Schule. Ich denke, dass wir an unserer Schule unseren Teil dazu beitragen, eine moderne und offene Sicht auf die Welt zu vermitteln.»

Eine umstrittene Frage, die im Gender-Diskurs intensiv diskutiert wird, ist die Forderung nach geschlechtsneutralen Toiletten und Garderoben von Schulkindern, die sich nicht ihrem biologischen Geschlecht ­zugehörig fühlen. Während diese Frage laut Andreas Hugi im Kindergarten und in der Primarstufe kein Thema ist, räumt Corinne Hoss-Blattner ein, dass sie in Zollikon damit schon konfrontiert wurde: «Im Zuge der in den letzten Wochen epischen Diskussionen in den Medien ist die Frage bei uns tatsächlich im Ausschuss Liegenschaften schon aufgekommen. Wir sehen aber keinen Handlungsbedarf.»


Gendern: Ja oder Nein?

Gendern ist das eingedeutschte Wort für einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch. Im Interesse der Gleichbehandlung aller Geschlechter geht das auch mit Veränderungen in der gesprochenen und geschriebenen Sprache einher. Ziel ist eine diskriminierungsfreie Sprache. Die Diskussion polarisiert.


Coralie (14), Zollikerberg

«Ich finde, dass genderneutrale WCs eingeführt werden sollten. Ich kenne mehrere non-binäre Leute, die sich weder als Frau noch als Mann definieren. Für diese Leute ist es schon recht mühsam, denn es fühlt sich für sie einfach nicht richtig an, in das eine oder das andere WC zu gehen. Was die Sprache betrifft, sind wir uns als Mädchen gewohnt, als «Schüler» angesprochen zu werden. Vielleicht sollte man sich mal überlegen, wie es wirken würde, wenn alle als Schülerinnen angesprochen werden. Es ist halt so wie es ist, aber es könnte besser sein.»


Tizia (15), Zollikon

«Ich kenne Personen, die sich nicht klar als Frau oder Mann identifizieren können und denke, dass es sie verletzen kann, wenn sie vor einer herkömmlichen WC-Beschilderung stehen. Aber deshalb jetzt komplett neue Toiletten zu bauen, finde ich aus finanziellen Gründen schwierig. Wir werden in der Schule als Mädchen oft als Schüler angesprochen. Daran habe ich mich irgendwie gewöhnt, fände es aber sympathischer, mit der weiblichen Form angesprochen zu werden und finde es deshalb gut, eine sächliche Form oder einen Stern zu verwenden.»


Aryan (13), Zumikon

«Ich weiss nicht, wie sich die Mädchen damit fühlen, aber ich denke schon, dass man Schülerinnen und Schüler ausschreiben sollte. Das Sternchen oder Schreibweisen mit -Innen finde ich eher schwierig. Ich habe eine Cousine in Indien, die mir erzählt hat, dass sie in der Schule grosse Diskussionen führen rund um Frauenrechte. Auf einem WC in Zürich habe ich einmal ­einen Witz aufgeschnappt, wo es hiess «Frauen: Blablabla» – bei den Männern stand nur «Bla». Solche Witze gehen mir bereits etwas zu weit.»


Matteo (13), Zollikon

«Mir ist die Diskussion eigentlich eher egal. In der Schule werden wir manchmal als «Liebe Schüler», manchmal aber auch als «Liebe Schülerinnen und Schüler» angesprochen. Manchmal steht auch nur die Abkürzung «Liebe S.u.S.». Das ist halt so und ich finde nicht, dass das ein spezielles Problem ist. Betreffend der WCs sollen sich alle frei entscheiden können, welches sie benützen. Extra neue WCs zu bauen finde ich übertrieben. Das braucht mehr Platz und man muss noch mehr putzen.»

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Eine Antwort

  1. Leute in diesem Alter (13-15) nannte man früher KINDER. Und weil sie Kinder sind haben sie ihre Rolle in der Gesellschaft noch nicht gefunden.

    Zu meiner Zeit – in den Sechziger Jahren – waren die Toiletten im Schulhaus Rüterwis mit „Buebe“ und „Maitli“ beschriftet.

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