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Einsamkeit hört an der Grenze nicht auf

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 16. September 2021

Philippe Weibel trifft mit «The Art of Love» ein grosses Thema unserer Zeit. Zur Premiere auf dem Zurich Film Festival.

Philippe Weibel kam über die Musik zum Film und freut sich nun auf die Premiere seines zweiten Spielfilms. (Bild: zvg)

Er ist gerade auf dem Endspurt. Zwei Wochen hat Philippe Weibel noch Zeit, um an seinem neuesten Spielfilm zu schneiden. Dann gehen im Kinosaal die Lichter aus. Im Interview erzählt der 47-Jährige, wie er zum Film, nach Zumikon und auf sein Drehbuch kam.

Philippe, du hast Jazz studiert. Wann kamen die bewegten Bilder zu den Tönen?

Stimmt. Ich habe Jazz in Boston studiert, bin dann nach Zürich ­zurückgekommen und habe noch ein Studium der Betriebswirtschaft angehängt. Die Filme waren eigentlich immer schon da. Ich habe als Kind bereits Super-8-Filme erstellt. Auch in meiner Schulzeit hat mich das Thema begleitet. Im Tonstudio entstehen ebenfalls visuelle Bilder, und so habe ich mir diese Arbeit autodidaktisch erschlossen. Bei meinen Auftragsarbeiten für ­Videos und Clips helfen mir natürlich die Musik – und auch die Betriebs­wirtschaft.

Am Zurich Film Festival gezeigt zu werden, ist eine grosse Ehre. Wie kam es dazu?

Die Dreharbeiten in England waren sehr abenteuerlich, auch weil wir ganz ohne Fördergelder ausgekommen sind und die Produktion nur über Crowdfunding und Sponsoring finanziert haben. Erschwerend waren auch die ganzen Schutzmassnahmen wie Plexiglas-Visiere, Schutzmasken und alles. Ein Mitglied aus dem ZFF-Komittee ist auf uns aufmerksam geworden. Im April kam der Anruf, ob wir nicht mal einen Kaffee trinken wollten und ich ein bisschen über den Film erzählen könnte.

Und du wolltest?

Natürlich. Damit hat den Film zum ersten Mal ein externer Beobachter gesehen. Ich habe zum ersten Mal ein Feedback von aussen bekommen. Umso grösser war das Glücksgefühl, als die Einladung kam.

Du hast den Film nicht nur selber gedreht, sondern auch das Drehbuch geschrieben. Wie hast du die Geschichte entwickelt?

Ich war damals wegen eines Auftrags in London. Zu der Zeit wurde dort ein Ministerium gegen Einsamkeit gegründet. Zwanzig Prozent der Engländer fühlen sich einsam. Und weil Einsamkeit an der Grenze nicht aufhört, begann ich zu recherchieren. Wie kann es sein, dass sich so viele Menschen alleine fühlen? Das war vor der Pandemie. Durch Covid wurde das Thema Rückzug und Isolation noch grösser. Ich habe eine Geschichte von zwei Hauptfiguren entwickelt, die auf unterschiedliche Weise einsam sind, sich aber gegenseitig helfen können.

Die Idee ist aus London, gedreht wurde vor allem in England. Wäre es nicht einfacher, du würdest dort leben?

Das täuscht. Neunzig Prozent meiner Arbeit mache ich hier. Ausserdem liebe ich die Schweiz. Dass wir in Zumikon leben, ist aber ein Zufall. Wir durften das Haus von Bekannten in Küsnacht bewohnen, als diese nach Mexiko gezogen sind. Als sie zurückkamen, habe ich beim Joggen überall Flyer verteilt, dass wir hier in der Gegend eine Bleibe suchen.

Wenn du jetzt an den letzten Szenen schneidest, was denkst du?

Zunächst, dass es ein sehr persönlicher Film ist, und dann, dass ich so happy über meine Hauptdarsteller bin. Es war mein Traum mit ­einem Schauspieler wie Jeremy Swift zu arbeiten – und ich habe ihn bekommen. Es muss so vieles stimmen, dass ein guter Film entsteht. Die Chemie, das Setting, das Wetter. In England ist es eigentlich immer zu nass (lacht).

Was sind die nächsten Pläne?

Ich habe anderthalb Jahre in den Film investiert. Jetzt muss ich erstmal wieder Geld verdienen.


Zur Person: Philippe Weibel

  • einjähriges Musikstudium in Boston
  • BWL-Studium Zürich
  • 1999 Promotion
  • 2001 Abschluss als Toningenieur
  • Gründung eines eigenen Tonstudios in Zürich
  • seit 1995 Manager und Saxofonist des Jazzsextetts «The Primes»
    1997 Gründung der Agentur «Future Connection»
  • 2001 bis 2009 freier Dozent

Kulturkreis eröffnet die Saison mit Philippe Weibel

Zu Gast: ein Saxofonist, ein Regisseur, ein Kameramann, ein Drehbuchautor und ein Unternehmer.

Die Story des Films – angesiedelt in London – befasst sich auf freche Art mit der Vereinsamung von Menschen in unserer modernen, westlichen Gesellschaft. Diesem unsichtbaren Problem, das zunehmend schwerwiegende Folgen hat. Das Thema trifft den Nerv der Zeit und hat mit der Coronakrise zusätzlich an Relevanz gewonnen.
Gedreht wurde «The Art of Love» in Zürich, London und an der englischen Südküste mit einem für Schweizer Verhältnisse ausserordentlich kleinen Budget. Das Team erhielt für das Projekt keine Fördergelder und entwickelte kreative Ideen, um den Film trotzdem umsetzen zu können. So ergaben sich diverse Partnerschaften mit lokalen Unternehmen. Um die nötigen flüssigen Mittel zu sichern, wurde ein innovativer Investorenpool kreiert. Philippe Weibel studierte zunächst Jazz am Bostoner Berklee College of Music – heute spielt er Saxofon in der jazzigen Zürcher Partyband «The Primes» – und ­absolvierte 2002 ein Nachdiplomstudium in Audiotechnik.
Der Zumiker Produzent und Regisseur zeigt Filmausschnitte und spricht über sein neues Projekt, die Herausforderung einer Schweizer Spielfilm-Produktion im Ausland und die Möglichkeit von unternehmerischen Ansätzen im Filmschaffen. (eingesandt)

Kirchgemeindesaal Zumikon, 21. Sept. 2021,19.30 Uhr. Eintritt frei für Mitglieder des Zumiker Kultur­kreises (mit Mitgliederkarte). Nichtmitglieder Fr. 25.–, Studenten und unter 18-Jährige Fr. 12.–. Abendkasse ab 19.00 Uhr.

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