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«Lesben haben nicht immer kurze Haare»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 30. September 2021

Über das Ja zur «Ehe für alle» wird sich die Zumikerin Brigitte Schenker besonders gefreut haben. Die 80-Jährige engagiert sich seit langem als Vizepräsidentin im Vorstand von «fels» – den «Freunden und Eltern von Lesben und Schwulen». Dazu gehört ein Beratungstelefon für betroffene Eltern und auch für Freunde.

Auch mit 80 Jahren geht Brigitte Schenker noch auf die Pride,  um weitere engagierte Eltern zu finden. (Bild: bms)
Auch mit 80 Jahren geht Brigitte Schenker noch auf die Pride, um weitere engagierte Eltern zu finden. (Bild: bms)

Sie haben zwei Töchter. Seit wann wissen Sie, dass eine Tochter lesbisch ist? Haben Sie vorher schon etwas geahnt?

Ich habe überhaupt nichts geahnt. Auch nicht, nachdem sie mir nach ihrem ersten männlichen Partner sagte, dass das nichts für sie sei. Ich dachte, der junge Mann sei damit gemeint. Sie war 23 Jahre alt, als sie mir von ihrer Homosexualität erzählte. Ich bin innerlich still geworden und war traurig, dass ich von ihr kein Enkelkind bekommen werde. Auch war mir in dem Moment klar, dass sie es nicht einfach haben wird. Dass sie nicht überall auf Akzeptanz stossen wird. Auch die neue Frau ihres Vaters reagierte negativ. Vor allem meine Schwieger­tochter hat darunter gelitten. Mittlerweile sind die beiden 28 Jahre zusammen. Manche heterosexuelle Paare schaffen das nicht.

Warum hat es so lange gedauert, bis die «Ehe für alle» auch in der Schweiz angekommen ist?

Das wüssten wir auch gerne. Als meine Tochter und ihre Frau ihre Lebenspartnerschaft eintragen liessen, haben wir ein grosses Fest gefeiert. Aber es geht um mehr als eine Feier. Es geht um das zivile Recht. Ich bin froh, dass das nun rechtlich geregelt ist. Es geht auch um die finanzielle Absicherung, die erleichterte Einbürgerung – wie in einer Ehe zwischen Mann und Frau. Sie müssen sich ja überall outen, wo sie den Zivilstand «in eingetragener Partnerschaft» angeben müssen.

Sollen homosexuelle Paare auch Kinder haben dürfen?

Natürlich. Es gibt rund 30 000 Regenbogenkinder in der Schweiz. Warum auch nicht? Wenn das in der Gesellschaft angekommen ist, werden auch die Kinder in diesen Konstellationen glücklich und geborgen leben können.

Was ist die Aufgabe von «fels»?

Wir wollen gegen die Diskriminierung von Homosexuellen in unserer Gesellschaft kämpfen und auch den Dialog zwischen Lesben, Schwulen und deren Eltern fördern. Wenn sich jemand outet, hat er sich schon lange mit dem Thema Homosexualität befasst. Für Eltern oder Geschwister kommt das oft sehr plötzlich. Die Kinder sollten ihren Eltern und Geschwistern Zeit geben. Wir bieten auch ein Beratungstelefon für Angehörige an. Zurzeit arbeiten wir auch daran, unsere eigene Mitgliederzahl zu steigern. Wir brauchen dringend Nachwuchs.

Auch weil sich der Verein intensiv um die jüngere Generation kümmert?

Genau. Wir haben gemeinsam mit den Organisationen «LOS» und «Pink Cross» mit «GLL gleichgeschlechtliche Liebe leben» ein Schulprojekt gegründet. Jeweils eine Lesbe, ein Schwuler und ein Elternteil besuchen die Klassen der Oberstufen, der Gymnasien oder auch der Pädagogischen Hochschulen und halten dort zwei bis drei Lektionen. Sie geben Einblick in homosexuelle Themen, die Jugendliche können Vorurteile abbauen. Oft müssen Mädchen und Jungen sich auch von Klischees verabschieden. Wir hängen zum Beispiel Fotos von jungen Frauen und Männern auf. Die Schülerinnen und Schüler müssen entscheiden, wer homosexuell ist – sie liegen meistens daneben. Lesben haben nicht immer kurze Haare, Schwule nicht immer Ohrringe und Kettchen. Traurig macht es mich, wenn in Klassen mit hohem Migrationshintergrund Kinder nicht in die Lektionen kommen dürfen, weil es nicht in deren Religion passt.

Wie erreichen Sie sonst die Gesellschaft?

Zum Beispiel an der Pride, an der ich tolle Gespräche mit jungen Leuten geführt habe. Leider waren wegen Angst vor Corona nur wenige «fels»-Mitglieder vor Ort.

Warum ist gerade das Thema der sexuellen Orientierung so omnipräsent?

Weil es immer noch keine Selbstverständlichkeit gibt. Man muss das auch historisch sehen. Homo­sexualität galt lange als Krankheit. Es gab und gibt immer noch Therapeuten, die «umpolen» wollen. Schwule wurden früher gejagt und registriert. Es gab Razzien und ­Prügeleien. Dabei ist Homosexualität, nicht zuletzt laut Weltgesundheitsorganisation WHO genetisch bedingt und ganz sicher keine Krankheit.

Wie das Tierreich zeigt.

Genau. Deswegen hatten wir anlässlich unseres 20-jährigen Be­stehens eine Führung durch den ­Zürcher Zoo unter dem Titel ­«Homosexualität im Tierreich» gemacht. Dabei haben wir eigentlich die Falschen erreicht – unsere Mitglieder müssen wir ja nicht mehr überzeugen. Doch die Führung hat sie sehr beeindruckt.

Lesbische Paare scheinen noch eher toleriert zu werden als schwule Beziehungen. Täuscht das?

Gar nicht. Für Mädchen ist es selbstverständlich, mit der besten Freundin Hand in Hand durch die Stadt oder das Dorf zu gehen. Sie umarmen sich, küssen sich. Das machen Jungen nicht. Deshalb werden schwule Männer in der Öffentlichkeit viel mehr angefeindet und mit Aggressionen konfrontiert. Ich kenne einige Schwule, die sich nicht outen, weil sie Angst haben, keine Karriere mehr in ihrer Firma machen zu können.

Mit Brigitte Schenker sprach Birgit Müller-Schlieper

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