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«Littering darf keine Normalität werden»

Von Danielle Brügger ‒ 14. Oktober 2021

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Jonathan Hayward ist im August dieses Jahres mit seiner Frau und den drei Kindern aus dem Zürcher Kreis 6 in den Zollikerberg gezogen. Der gebürtige Brite arbeitet seit sieben Jahren als Product Executive bei einem Finanzinstitut in Zürich. In der Mittagspause sammelt er Abfall.

Neuzuzügler Jonathan Hayward: «Statt am Abfall vorbeizulaufen, lese ich ihn auf.» (Bild: db)

Was hat Sie inspiriert, Abfall zu sammeln?

Mein Arbeitgeber und der US-amerikanische Autor David Sedaris. Schroders Capital stellt ihren Mitarbeitenden zwei Arbeitstage pro Jahr zur Verfügung, um sich sozial zu engagieren. Viele bringen sich bei den Projekten ein, die das Unternehmen finanziell unterstützt. Ich habe mich entschieden, dem Beispiel von Autor David Sedaris zu folgen. Obschon seine Bücher weltweit millionenfach verkauft werden, verbringt er seit Jahren mehr Zeit mit Abfall sammeln auf den Strassen Englands als im Rampenlicht. Die Queen lud ihn in ein – nicht wegen seines Erfolgs, sondern weil er Abfall sammelt.

Bedeutet das, dass Sie lieber Abfall auflesen als Geld anlegen?

Nein, aber ich finde es wichtig, der Unsitte entgegenzuwirken, Abfälle im öffentlichen Raum wegzuwerfen oder liegenzulassen: Zigarettenstummel, Energiedrink-Dosen, Eistee-Tetrapaks und Hygienemasken. Ich nehme an, vorwiegend von Jugendlichen. Trotz kurzer Wege zu den Abfallkübeln fühlen sie sich nicht verantwortlich.

Ekelt Sie diese Arbeit nicht?

Ich verwende eine Greifzange und trage einen Abfallsack mit, so komme ich nicht in Berührung mit dem Müll. Die kleinen Mengen, die herumliegen, stinken auch nicht.

Warum tragen Sie dabei eine orange Weste?

Damit unterstütze ich die Interessengemeinschaft für eine saubere Umwelt IGSU. Wir müssen gemeinsam verhindern, dass Littering zur neuen Normalität wird.

Wie reagieren die Leute?

Im Kreis 6 reagierten sie höchst erstaunt: Im Anzug wurde ich von Leuten, denen ich häufiger begegnete, freundlich gegrüsst. Mit oranger Weste war ich unsichtbar. Mein Einsatz bricht zwar mit dem Klischee, dass Banker sich zu schade sind für niedere Arbeit, aber wie es denen ergeht, die jeden Tag für uns Abfall auflesen, können wir nur erahnen.

Sind Ihre Bankerkollegen auch so engagiert?

In der Finanzbranche wird unternehmerische Sozialverantwortung immer bedeutender. Ich vermute, dass viele Investoren ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, indem sie Geld in nachhaltige Produkte investieren. Ich möchte ein positives Beispiel sein für persönlichen Einsatz, der nichts mit tugendhaftem Handeln zur Gewinnung von Kunden zu tun hat.

Ich gehe sogar so weit, dass ich anderen sage: «Sie haben da etwas verloren!», wenn ich sehe, wie jemand etwas auf den Boden oder aus dem Auto wirft. Die Betroffenen hören das zwar nicht gerne, aber sie entsorgen ihren Abfall danach korrekt. Ich bin kein Ökokämpfer, aber wenn jeder seinen Müll selbst entsorgen würde, sähe es anders aus auf dieser Welt.

Wieviel Abfall haben Sie im Kreis 6 gesammelt?

In vier Monaten trug ich 50 Kilo zusammen. Am schlimmsten war es vor dem neuen Kunsthaus. Ein Kontrast sondergleichen: Drinnen wertvolle Kunst, draussen haufenweise Abfall.

Nehmen Sie Ihre Kinder mit auf die Tour?

Meine Töchter sind erst 16 Monate alt, aber mein vierjähriger Sohn kommt gelegentlich mit. Er ist in dem Alter, in dem er die Männer auf den Abfallwagen freudig begrüsst und genau beobachtet, wie sie den Abfall in den Wagen kippen. Er hat Spass daran, Abfall mit der Zange aufzulesen und mit mir in der Natur unterwegs zu sein. Meine Frau und ich finden es wichtig, dass unsere Kinder früh lernen, achtsam mit der Umwelt umzugehen.

Eine Sisyphusarbeit.

So ist es. Habe ich eine Fläche gesäubert, und kehre in der nächsten Woche zurück, sieht es aus, als wäre weder der Unterhaltsdienst noch ich da gewesen. Trotzdem ist mein Tun sinnvoll. Schliesslich stehen die schönsten Dinge in der Schweiz uns gratis zur Verfügung: Wälder, Berge, Seen. Littering gehört da nicht ins Bild.

Ist die Arbeit nicht langweilig?

Wie bei allem im Leben kommt es auf die Perspektive an. Wenn ich meine Weste anziehe, die Greifzange und den Abfallsack packe, dann stecke ich auch meine Earbuds in die Ohren. Ich mache Pause vom Homeoffice, gehe an die frische Luft, höre Musik und gönne mir etwas Bewegung. Nebenher hebe ich Abfall auf.

Sie sind kürzlich in den Zollikerberg gezogen. Ist es da schmutzig?

Im Vergleich zu Zürich, London oder Dehli ein Tropfen im Meer. Trotzdem, seit ich Abfall suche, finde ich ihn auch hier an jeder Ecke.

Ermutigen Sie damit andere?

Immer wieder. Und wer mit mir gemeinsam Abfall suchen will, kann sich gern bei mir melden. Ich bin seit elf Jahren in der Schweiz, habe meine Frau hier kennengelernt und unsere Kinder wurden hier geboren. Ich bin hier zu Hause – und seinem Zuhause trägt man Sorge.

Was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Zuhause?

Die schöne Lage, die vielen Spielplätze und die Stadtnähe. Unsere Arbeitswege sind wesentlich kürzer als in London. Die Schul- und Betreuungssysteme sind gut, die Kriminalitätsrate ist niedrig und das politische System sagt uns zu. Ein idealer Wohnort.

Mit Jonathan Hayward sprach Danielle Brügger

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