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Die Entdeckung der Ovomaltine-Allergie

Von Shirin Salah-Eddine ‒ 6. Januar 2022

Vom Tessinerbuben zum Pionier und Leiter der Allergiestation im Unispital Zürich. Mit über tausend Publikationen und als Herausgeber von sieben ­Fachbüchern zu Neurodermitis, Pollen- und Nahrungsmittel­allergien wurde der Zolliker Brunello Wüthrich (*1938) zum Allergiepapst.

Brunello Wüthrich: Der «Allergiepapst» kann auf eine beachtliche medizinische Karriere zurückblicken. (Bild: zvg)

Warum haben Sie sich für den Arztberuf entschieden?

Mein Vater als auch meine zehn Jahre ältere Schwester waren Physiotherapeuten. Leider hatte mein Vater kurz nach meiner Geburt den ersten Schub einer Multiplen Sklerose. Ich sah, wie er gelitten hat – das war meine Motivation, Arzt zu werden, in der Hoffnung, ihm helfen zu können. Als Fakultätsort habe ich Zürich gewählt, weil es mit dem Zug von Lugano aus innerhalb dreier Stunden erreichbar war. Während des ganzen Medizinstudiums bin ich mit meinen Tessiner Kollegen an den Wochenenden immer nach Hause gefahren, ausser an jener Auffahrt, als ich meine zukünftige Frau Silvia kennengelernt habe.

Schildern Sie doch bitte Ihren Werdegang.

Nach der Matura 1956 in Lugano begann ich das Medizinstudium in Zürich. Mit einem Auslandsemester in Paris und zahlreichen Praktika schloss ich es 1963 ab. Anschliessend war ich ein Jahr im Bereich der Inneren Medizin in Lugano tätig. Danach bewarb ich mich bei Hans Storck, dem ehemaligen Direktor der Dermatologischen Universitätsklinik Zürich, um meine Doktorarbeit zu schreiben. So blieb ich auf der Dermatologie und landete nach zwei Jahren auf der damals kleinen Allergiestation – meiner ökologischen Nische. Im Vordergrund stand das Gespräch mit den Patienten, deren Beratung, die Abklärung ihrer Allergieleiden. Mit Akribie suchte ich die allergieauslösenden Ursachen ihrer teils schweren allergischen Reaktionen.

Professor, Allergiepapst, Kolumbus der Allergie: Wie kam es zu diesen Titeln?

Ich habe viel publiziert und als Erster seltene Allergene beschrieben. Durch wissenschaftliche Publikationen, Vorträge im In- und Ausland sowie zahlreiche Interviews in Zeitungen und im Fernsehen bin ich bekannt geworden.

Hat Sie Ihr Berufsleben befriedigt?

Sehr, sehr! Ich würde es ohne zu zögern wieder so machen und zwar, weil ich im Unispital drei erfüllende Aufgaben hatte. Erstens die Betreuung der Patienten und Patientinnen sowie die beratende Tätigkeit. Zweitens die höchst interessante und knifflige klinische Forschung. Drittens die Ausbildung von Medizinstudenten wie auch die Weiterbildung angehender Dermatologen, Allergiespezialisten und praktischer Ärzte.

Was waren Ihre spannendsten Entdeckungen?

Für mich war es immer eine Herausforderung, die oft versteckte ­Ursache einer allergischen Reaktion herauszufinden. So habe ich – nicht zur Freude der Hersteller – die Campari- und die Ovomaltine-Allergie als Erster beschrieben. Höchst interessant war diese Entdeckung, weil es der erste Fall war seit Einführung der «Ovi» vor 79 Jahren. Eine junge Patientin hatte nach ihrem Zvieri eine starke allergische Reaktion, die nach langen Abklärungen nur auf das in der Ovomaltine enthaltene Malz zurückzuführen war. Bei einer anderen Patientin endete ihre Gartenparty nach dem Genuss von Apéronüssen und eines Campari-Cocktails in der Notfallstation. Nach raschem Ausschluss einer Nussallergie verzögerte sich die Diagnose des auslösenden Allergens. Obwohl das Campari-Rezept geheim war, stellte mir die Mutterfirma in Milano Proben einiger Inhaltsstoffe zu. Tatsächlich stellte sich heraus, dass die Patientin auf den roten, von Schildläusen natürlich gewonnen Farbstoff Karmin (E120) reagiert hatte. Das Originalrezept von 1860 wurde verändert und das Getränk erhält seine rote Farbe nun von drei chemischen Zusatzstoffen.

Wie beeinflusste der Beruf Ihr Privatleben?

Nebst der Medizin war für mich die Familie immer an erster Stelle. ­Natürlich musste meine Frau abends häufig auf mich warten, um gemeinsam zu Abend zu essen. Auch am Wochenende habe ich viel gearbeitet. Aber trotz Arbeit an Schreibmaschine und Diktaphon konnten die Kinder immer zu mir kommen, und wir nutzten jede mögliche Gelegenheit, um Ausflüge zu machen, zu spielen, in die ­Ferien zu fahren. Während meiner Freizeit konnte ich komplett abschalten und war dann nicht Arzt, sondern Familienvater, Ehemann und Freund.

Was war Ihre grösste Errungenschaft?

Ganz klar die Hochzeit mit meiner Frau Silvia, die Geburt unserer drei Kinder – zweier Töchter und eines Sohnes. Ein beruflicher und akademischer Höhepunkt war die Organisation des Europäischen Allergiekongresses EAACI in Zürich mit über 3500 Teilnehmern. Auch auf die vielen Publikationen und Forschungserfolge bin ich sehr stolz: Kreuzreaktionen zwischen Pollen- und Nahrungsmitteln oder der Nachweis der Zunahme von Pollenallergien als Folge des Klimawandels und der Luftverschmutzung. Mit Genugtuung blicke ich auf viele nationale und internationale Ehrungen zurück, etwa die Ehrenmedaille der Deutschen Gesellschaft für Allergie und klinische Immunologie.

Wie entspannen Sie sich?

Mich entspannt das harmonische Familienleben, das Wohnen direkt am Wald im schönen Zollikerberg, Natur, meine Liebe und mein ­Interesse für Musik und Kultur, das Mitsingen im Zolliker Chor «SingLust» … Mein Leben war und ist noch immer erfüllt von spannenden Herausforderungen und schönen Momenten.

War es schwer, die Stelle am Unispital mit 65 Jahren aufgeben zu müssen?

Nein, ich hatte das Glück, dass Orsola Vettori, die Direktorin des Spitals Zollikerberg, mir nach meiner Emeritierung erlaubte, einen Tag in der Woche eine allergologische Zuweisungspraxis zu führen. Gemäss meiner Arztgehilfin schätzten es meine Patientinnen und ­Patienten: «So einen Doktor hätten Sie noch nie erlebt, der sich so viel Zeit für offenes Zuhören und Beratung nehmen konnte.» Dies war im stressigen Medizineralltag einer Poliklinik nicht möglich.

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