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Das Tier, das Krankheit birgt

Von Ramona Bussien ‒ 17. Juni 2022

Der Sommer rückt im Eiltempo näher. Damit ist die Zecke wieder beliebtes Thema in den Medien: Ihr Name ist mit Infektion und Krankheit verknüpft. Ihr etwas Gutes abzugewinnen, fällt schwer.

An den Vorderbeinen der Zecke sitzt das sogenannte Hallersche Organ. Mit diesem Sinnesorgan nimmt die Zecke chemische Stoffe wie Ammoniak, Kohlendioxid, Milchsäure und Buttersäure wahr – was Wirtstiere durch Atem und Schweiss absondern. Wie Spinnen riecht, fühlt und «sieht» die Zecke gewissermassen mit ihren Beinen. (Bild: pixabay/Erik_Karits)

Ob Gemeiner Holzbock, Braune Hundezecke, Igel- und Fuchs- oder Schafzecke: Alle der weltweit 800 beschriebenen Zeckenarten ernähren sich von Blut. Das allein würde wohl für die Charts der unbeliebtesten Tiere genügen. Doch die ­Zecke ist auch Wirt und Überträger zahlreicher Viren und Bakterien. Das macht sie zur Gefahr für Mensch und Tier. Darüber hinaus reiht sie sich in die Verwandtschaft der Spinnentiere ein – spätestens das meisselt ihr Image in Stein.

Grösste Milbe der Welt

Die Zecke ist die grösste Milbe der Welt. Unter den über 50’000 Milbenarten machen sich manche im Kampf gegen Schädlinge nützlich, tragen zur Humusbildung bei oder verwerten Aas. Andere sind verantwortlich für Allergien, Tierseuchen und Ernteausfälle. Ist die Webspinne in ihrer Natur ein Nützling, findet man unter den Milben sowohl Nützlinge als auch Schädlinge. Die Zecken gehören ausnahmslos zu letzteren. Zumindest aus anthropozentrischer Perspektive.

Zecken kommen überall dort vor, wo ihre Wirtstiere leben. Der Zeckenbiss ist dabei weniger Biss als Stich: Hat die Zecke die Haut des Wirts mit ihren Kieferklauen angeritzt, führt sie ihren Stechrüssel in die Wunde ein. Die häufigste und medizinisch bedeutsamste Art bei uns ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). Er ist kein Jäger, sondern ein Lauerer. Das heisst, er klettert an Grashalmen, krautigen Pflanzen und Büschen hoch, streckt seine vorderen Beinpaare aus und wartet ab. Kommt ein Tier vorbei, lässt er sich abstreifen und sucht nach einer feuchten, gut durchbluteten und dünnhäutigen Stelle. Ein Beispiel für eine ­Zecke, die hingegen aktiv als Jäger nach Wirtsorganismen sucht, ist die Braune Hundezecke (Rhipicephalus sanguineus).

Kreislauf des Lebens

Wie alle Milben durchläuft auch die Zecke nach dem Schlüpfen drei Entwicklungsstadien. Als Larve besitzt sie nur sechs Beine und befällt im Fall des Gemeinen Holzbocks kleinere Tiere wie Nagetiere oder Hasenartige. Nach der Blutmahlzeit häutet sich die Zecke das erste Mal. Aus der Larve wird eine achtbeinige Nymphe. Diese sucht den nächsten Zwischenwirt. Beispielsweise eine Hauskatze. Auf die zweite Blutmahlzeit folgt die letzte Häutung hin zum ausgewachsenen Tier. Der Endwirt des Gemeinen Holzbocks ist in unseren Breitengraden häufig das Rind oder der Mensch. In diesem Stadium findet die Paarung statt. Das deutlich grössere Weibchen saugt sich ein letztes Mal satt, bevor es sich fallenlässt und nach einer geeigneten Stelle für die Eiablage sucht. Zeckenweibchen saugen länger als Zeckenmännchen und schwellen bis um das Zwanzigfache an: Immerhin müssen sie nicht nur sich selbst ernähren, sondern auch Energie tanken für die Entwicklung der Eier. Mit der Eiablage schliesslich endet das Leben einer Zecke. Und der Kreislauf beginnt von vorne.

Ein notwendiges Übel

Sicher: Bei genauem Hinsehen ist auch die Zecke ein faszinierender Organismus voller Überraschungen. Doch für den Menschen bleibt sie Schädling, Parasit, Plage. Ein Ekeltier par excellence. Welchen Wert, welchen Nutzen kann etwas haben, das Krankheiten verbreitet?

Einerseits ist die Zecke für viele Vögel eine proteinreiche Nahrungsquelle. Andererseits sind Zecken Wirtstiere unzähliger Viren, Bakterien, Wespen und parasitierender Pilze oder Nematoden. ­Diese Organismen könnten ohne Zecken nicht überleben. Im menschlichen Verständnis sind Krankheiten etwas durch und durch Schlechtes. Wir fürchten und bekämpfen sie. Die Utopie: eine Welt ganz ohne Krankheiten?

Was für uns gut klingt, wäre für Ökosysteme als Ganzes eine Katastrophe. In der Natur halten Krankheiten Populationen unter Kontrolle. Sie sorgen dafür, dass kranke und schwache Individuen nicht überleben; dass sie ihre Gene nicht an die nächste Generation weiterreichen können. Survival of the Fittest, heisst es gemäss der Darwin´schen Evolutionstheorie. Was heute bisweilen als überholt beziehungsweise vereinfacht gilt, hat im Kern doch nach wie vor seine Richtigkeit: Krankheiten helfen, die «Stärkeren» zu definieren. Ohne Krankheiten würden Ökosysteme von genetisch schwachen Individuen überrannt. Das natürliche Gleichgewicht stünde Kopf. Ökologen beobachten gar gezielt Zeckenpopulationen, um Rückschlüsse auf die Gesundheit und die Stabilität eines Ökosystems zu ziehen. Die Zecke also birgt nicht nur Gefahr, sondern wirkt auch als Motor im komplexen Getriebe von natürlicher Selektion, Adaption und Evolution.


Zeckenalarm auch in Zollikon und Zumikon

Dass ein Zeckenstich potenziell gefährlich ist, dürfte mittlerweile bekannt sein. Lyme-Borreliose, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Hasenpest und Babesiose sind nur vier der Krankheiten, die Zecken auf den Menschen übertragen können. Weniger bekannt: Auch unsere Haustiere können erkranken. So sind laut Tierarzt Yves Steiger klinische Fälle von Borreliose bei Hunden nachgewiesen. Hunde- und Katzenbesitzer tun gut daran, sich und ihre Tiere regelmässig auf ­Zecken hin zu untersuchen. Nicht nur können unsere Vierbeiner erkranken, auch schleppen sie die Parasiten direkt ins Haus, wo sie – je nach Entwicklungsstadium – den Menschen als Endwirt vorfinden. Jetzt im Juni/Juli ist die erste Hochsaison, die zweite folgt im August. Auch wer in den Süden fährt, sollte auf seinen Zeckenschutz achten. Insbesondere die Braune Hundezecke ist leider ein häufiges Urlaubsmitbringsel.


Alle paar Wochen aus der Natur

Zecken gehören zu unseren weniger geliebten tierischen Nachbarn. Trotzdem haben sie ihren Platz in der Natur. Der Zolliker Zumiker Bote forscht nach, was die Zecke für ein Tier ist, und weshalb es trotz aller Vorbehalte eine schlechte Idee wäre, sie aus unseren Ökosystemen zu tilgen.

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