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Von Tag- und Nachtträumen

Von Franca Siegfried ‒ 22. September 2022

Wie der Pressesprecher für Ballett vom Zürcher Opernhaus eine neue Heimat findet. Insgesamt 30 Freunde des Ballettes wohnen in Zollikon und Zumikon. Ende September wird die Compagnie des Balletts über Nachtträume tanzen – ein neues Werk mit beklemmender Aktualität.

Lebt neu in Zollikon: Zwischen Haustür und Opernhaus erwarten ­Michael Krüger traumhafte Spaziergänge entlang des Sees. (Bild: fs)

«Ich bin am Dufour­platz aus dem Bus gestiegen und wusste, da will ich wohnen». Michael Krüger hatte über 20 Wohnungen besichtigt – von Altstetten, Oerlikon bis nach Küsnacht – eine Tour d’Horizon rund um Zürich. Er war nicht der einzige Bewerber für die Wohnung an der Alten Landstrasse. Seine Bewerbung hatte ihm jedoch Vorschusslorbeeren beschert. Er schrieb, dass sein Partner Pianist sei und in ihrem Wohnzimmer ein Klavier stehen werde – und staunt immer noch über den Vermieter, der sich von dem Instrument nicht abschrecken liess.

Michael Krüger sitzt in der Kantine des Opernhauses und berichtet, wie ihm in den letzten Jahren vieles «zugeflogen» ist. Seit sechs Monaten ist er der Pressesprecher für Ballett am Zürcher Opernhaus. Ein Traumjob. Am See entlang kann er jeweils zu Fuss nach Hause gehen: «Drei Kilometer von Tür zu Tür.» Seine Erzählungen sind lebendig, lustig, auch schwärmerisch und zugleich respektvoll. Der Weg bis zum Pressesprecher in Zürich ist eine etwas längere Geschichte, die vor 30 Jahren begann. «Mit sechs Jahren wusste ich, dass ich zum Leben viel Musik brauche.» Die Eltern ermöglichten ihm Gesangs- und Klavierunterricht, obwohl sich der Vater als Ingenieur, die Mutter als Hausfrau damals wenig um klassische Musik kümmerten. ­Michael besuchte die Dom-Musikschule und sang im Opernhaus Essen mit dem Knabenchor im ersten Akt von Wagners Parsifal. Das war sein Bühnendebüt.

Neubeginn

Der Stimmbruch beendete seine Karriere als Chorknabe und er sang in einem Extrachor des Opern­hauses Verdi, Wagner, Bellini, Strauss – die Liste der Werke ist lang. Auf der Bühne verdiente er sich singend sein Taschengeld als Student der Universität Essen. Nach dem abgeschlossenen Studium in Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft absolvierte er ein Praktikum in Dramaturgie. In Deutschland sind Theaterverträge oft zeitlich limitiert, in Essen und Gelsenkirchen auch für Pressesprecher. In Düsseldorf wird ihm nach vier Jahren ein unbefristeter Vertrag angeboten. Ist er am Ziel angekommen? Noch nicht. Mit der Ausschreibung der Stelle am Opernhaus Zürich öffnete sich für ihn ein neuer Horizont. Mit seinem Mann Daniel, der aus Südkorea stammt, wird der Umzug in die Schweiz minutiös geplant. «Er musste in der Düsseldorfer Musikschule alle seine Schüler aufgeben. Aber schon nach wenigen Wochen in der Schweiz konnte er wieder unterrichten. ­Einige Schüler sind aus Zollikon.» Beim Eingang der Zolliker Migros steckten sie an der Pinnwand ein Inserat für Klavierstunden. «Wir waren letzthin auch an der Zolliker Chilbi, haben Bündnerfleisch gegessen und ein Bier getrunken», sagt er lachend. «Wir sind gut in Zollikon angekommen. An Wochenenden fahren wir auch über Pässe oder besuchen Städte wie Bern, Genf und im Süden Ascona.» Für das Schweizerdeutsch zeigt er ein besonderes Flair und versteht zum Beispiel den Walliserdialekt besser als jenen aus Glarus.

Freunde des Balletts

Künstler müssten hart arbeiten, das betont er im Gespräch. Talente in ihrer Berufung zu unterstützen sieht er auch als seine Aufgabe am Opernhaus. Dies wollen auch 600 Freunde und Freundinnen des Zürcher Balletts. Allein 30 leben in Zollikon und Zumikon. Fasziniert von der Kunstform des Tanzes fördern sie mit ihren Beiträgen neue Produktionen der Compagnie des Balletts und des Junior Balletts. Zum Saisonende verleihen sie einen Tanzpreis – an der traditionellen Season End Party wird gemeinsam mit den Künstlerinnen und Künstlern gefeiert. Seit 39 Jahren besteht die Möglichkeit einer Mitgliedschaft. Damit erleben Mitglieder Balletttraining, Proben und Führungen hinter den Kulissen. Je nach Kategorie bekommen sie auch exklusive Einladungen zu Veranstaltungen oder begleiten die Compagnie auf Gastspielen. Michael Krüger: «Dieser Austausch ist für alle bereichernd.»

Getanzter Traum

Vor 15 Jahren hat der Pressesprecher in Essen das legendäre Werk «Der grüne Tisch» von Choreograf Kurt Jooss bewundert. Das Stück gilt als das Antikriegsstück schlechthin, entstanden 1932 zwischen den beiden Weltkriegen. Es konzentriert sich auf den Habitus von Machtmenschen, die nur aus Eigennutz handeln, daher ist mit ihnen die Friedensverhandlung ein Ding der Unmöglichkeit. Diese ­Aktualität hat den Choreografen Marcos Morau motiviert «Den grünen Tisch» ins 21. Jahrhundert als «Nachtträume» zu transferieren. Über die Machtlosigkeit des Individuums in unserer Gesellschaft wird auf der Bühne kontrastreich im Dunkeln, Licht und Schatten getanzt. Menschen träumen, sie würden ihr Leben selber bestimmen – ein Trugschluss. «Der Choreograf erarbeitete das Stück als Gesamtkunstwerk», erklärt der Pressesprecher. «Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen haben zusammengearbeitet, so war auch Moraus Tanzstil eine Herausforderung für die Truppe des Balletts.» Begeistert berichtet er vom Video-Trailer, den er auf Instagram postet. Die Szene am überdimensionalen Sitzungstisch, mit der synchronen Bewegung von 17 Tänzerinnen und Tänzern, alle in schwarzen Pailletten-Kostüme. Die beklemmende Frage, ob wir tatsächlich dem Willen der Mächtigen ausgeliefert sind, soll das Opernhaus Publikum zum Nachdenken anregen. Premiere ist am Freitag, 30. September. An diesem Abend wird sich für den Pressesprecher ein Traum erfüllen, den er sich vor 15 Jahren in Essen noch nicht ausmalen konnte.

Ein Tagtraum

Zollikon und Michael Krüger, das ist Liebe auf den ersten Blick. Im Sommer hat er mit seinem Mann häufig die Badi besucht, abends auf dem Balkon an einem Glas Wein genippt mit Blick über den See. Jetzt sitzt er in der Kantine des Opernhauses und malt sich aus, wie und wann sein Mann Daniel am Flügel im Gemeindesaal ein Konzert für die Zollikerinnen und Zolliker geben könnte.


www.ballettfreunde.ch
www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/nachttraeume/2022-2023

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