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Eine Oper zum Nachdenken

Von Franca Siegfried ‒ 17. November 2022

«Jakob Lenz» ist eine der meistgespielten Kammeropern des 20. Jahrhunderts. Zum 70. Geburtstag des Komponisten Wolfgang Rihm wird sie vom Zürcher Kammerorchester und dem Opernhaus im ZKO-Haus an der Grenze von Zollikon aufgeführt.

«Konsequent … konsequent … konsequent … », stammelt Jakob Lenz. In seinem langen, purpurfarbenen Mantel ist er auf den Boden gesunken – mutterseelenallein. Pfarrer Oberlin, der sich um das Seelenheil von Jakob Lenz sorgen wollte, hat resigniert. Christoph Kaufmann ergreift die Flucht, als trage Jakob ein tödliches Virus. Er hätte im Auftrag der Familie dem Dichter einen Brief überreichen sollen. Diese Szene betont die Machtlosigkeit des Klerus und die Feigheit des Bürgertums. Beide haben den sensiblen, jungen Mann fallen lassen, der sich mit seiner Begabung als Poet nicht in die Gesellschaft integrieren lässt und am Tod seiner Geliebten Friedericke verzweifelt.

Den deutschen Komponisten Wolfgang Rihm, damals erst 25 Jahre alt, faszinierte Georg Büchners ­Novelle «Jakob Lenz» – und inspirierte ihn für die Kammeroper. Die Uraufführung 1979 an der Hamburger Staatsoper wurde gefeiert; sie gehört mittlerweile zu den meistgespielten Kammeropern des 20. Jahrhunderts. Aus Anlass von Wolfgang Rihms 70. Geburtstag führt sie das Opernhaus zusammen mit dem Zürcher Kammerorchester auf: Inszenierung Mélanie Huber, Dramaturgie Fabio Dietsche und musikalische Leitung Adrian Kelly.

Die Aufführung ist nicht für das Opernhaus bestimmt, sondern für das ZKO-Haus an der Seefeldstrasse 305, rund 40 Meter vom Zolliker Ortsschild entfernt. Der nüchterne Saal im ehemaligen Starkstrom­labor mit aufsteigender Bestuhlung verfügt über modernste multimediale Technik. In diesem Raum bekommt der psychische Zusammenbruch des Poeten eine besondere Nähe zum Publikum. Spätestens in den letzten Szenen möchte man auf die Bühne stürmen und Jakob Lenz in die Arme schliessen und trösten. Langsam steigt ein Groll auf gegen den mutlosen Pfarrer und den selbstgerechten Biedermann Kaufmann. Musik und Gesang untermalen Verzweiflung, tiefste Trauer und Gedankenmühlen, die Lenz zum Wahnsinn treiben.

Stimmen im Ohr

Die 13 Musikerinnen und Musiker des Zürcher Kammerorchesters spielen auf der Bühne, da der Saal keinen Orchestergraben hat. Der Bariton Yannick Debus in der Rolle des Jakob Lenz singt und spielt derart glaubwürdig, als wäre er selber ein verzweifelter Aussenseiter der Gesellschaft. Die Rolle von Pfarrer Oberlin passt gut zu Jonas Jud mit seiner Bassstimme – ruhig, besonnen. Und der Tenor Maximilian Lawrie verkörpert die Figur des Biedermanns ausgezeichnet. Die Stimmen, die sich im Ohr und Gehirn von Jakob Lenz eingenistet haben, interpretieren zwei Männer und vier Frauen vom Internationalen Opernstudio des Opernhauses Zürich. Sie verfolgen ihn auf der Bühne, schleichen ihm nach und dienen zugleich als Kulissenschieber oder Komparsen. Zwei singende Mädchen hängen sich ihnen an. Sie übernehmen den kindlichen Part der Person Lenz, etwa als er sich in einer Anwandlung von Egozentrismus als Prediger versucht und auf die Kanzel steigt. Das Bühnenbild aus gestapelten, einfachen Holzkuben überrascht. Sie ver­körpern alles: Haus, Bett, Kanzel, Brunnen und Berge. Büchners ­Novelle spielt im Elsass. So flüchtet Jakob Lenz vor den quälenden Stimmen im Geist in die Vogesen, klettert die Kuben hoch, springt auf den nächsten Stapel bzw. Gipfel. Kurzum, neben seiner sängerischen Begabung benötigt Yannick Debus Beweglichkeit.

Die Vorstellung dauert von 19.30 bis 21 Uhr im ZKO-Haus. Wolfgang Rihm wird an der Premiere vom 19. November dabei sein. Warum stammelt Jakob Lenz «konsequent»? Das werden sich Zuschauerinnen und Zuschauer auf dem Heimweg fragen und darüber nachdenken.


http://www.zko.ch/events/jakob-lenz-kammeroper-wolfgang-rihm-2022-2023/

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