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Mehr Lohn für eine starke Pflege

Von Franca Siegfried ‒ 8. Dezember 2022

Das Personal vom Spital Zollikerberg erhält für ihr Engagement noch mehr Wertschätzung in Form von Geld und Zeitgutschriften. Auch die Klinik Lengg bezahlt einen Teuerungsausgleich. In der Schweiz fehlt es jedoch an qualifiziertem Pflegepersonal – eine Einschätzung.

Schichtzulage bei Nacht-, Abend-, Pikett- und Wochenenddienst wird um 30 Prozent erhöht. (Bild: cef)

Öffentliche Spitäler im Kanton Zürich zahlen ihren Angestellten im Jahr 2023 rund 3 Prozent mehr Lohn. Nach Beschluss vom Regierungsrat des Kantons Zürich (Sitzung 21. September 2022/1259) könnte der Teuerungsausgleich für das kantonale Personal jedoch 3,5 Prozent sein. Damit will das Kinderspital entlöhnen.

Wie steht es bei privaten Spitälern mit öffentlichem Auftrag? Der Zolliker Zumiker Bote fragte beim ­Spital Zollikerberg nach. Direktor Christian Etter hat eine Erhöhung der Lohnsumme um insgesamt 3,3 Prozent sowie weitere Massnahmen verabschiedet. Konkret bedeutet das, dass die Schichtzulage bei Nacht-, Abend-, Pikett- und Wochenenddiensten um 30 Prozent erhöht wird. Gleichzeitig wird die Zeitgutschrift für Nachtdienste auf 25 Prozent angehoben. «Durch diesen ­Gewinn an Freizeit will das Spital Zollikerberg die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter fördern.» Christian Etter leitet das Spital seit April 2022. Als privates Akutspital trägt es zur medizinischen Versorgung des Grossraums Zürich bei. Mehr als 11 000 Personen werden stationär, 60 000 ambulant behandelt. Jedes Jahr erblicken im Zollikerberg 2400 Kinder das Licht der Welt. Die Geburtsklinik ist eine der beliebtesten und verfügt über eine der acht Babyklappen in der Schweiz. Das von der Stiftung «Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule» getragene Spital bietet viel: Rund 60 Prozent der Mitarbeitenden profitieren von der Erhöhung der Zulagen. Hinzu kommen individuelle Lohnanpassungen, nicht nur für Schichtarbeitende.

Fallpauschale

«Auch wir spüren den Personal­engpass in mehreren Bereichen. Über alle Betriebe der Stiftung hinweg sind aktuell gut 50 Stellen ­vakant», sagt Christian Etter. «Wir suchen aktiv nach Dipl. Pflege­fachleuten, Hebammen, Fachleuten ­Gesundheit und verwandten Berufsleuten, aber auch nach Mitarbeitenden in der Verwaltung.» Zur Kompensation von personellen Engpässen hat er schon im Juni ein ­Modell der Flexverträge eingeführt. «Seit Dezember 2022 wurden Anpassungen vorgenommen, sodass geleistete Flexarbeitsstunden höher vergütet werden, um die Attraktivität zusätzlicher Schichten zu steigern.» Wie sieht es mit den Finanzen aus als privates Spital? «Unsere Abrechnungen unterliegen verhandelten Fallpauschalen und Tarifverträgen. Der Zürcher Regierungsrat hat die Fallpauschalen für die Behandlung stationärer Patientinnen und Patienten von 9650 auf 9900 Franken erhöht. Gegen diesen Entscheid haben allerdings alle Krankenkassen beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt.» Ein definitiver Bundesgerichtsentscheid sei erst in zwei bis drei Jahren zu erwarten. «Da wir aber jetzt etwas für unsere Mitarbeitenden tun wollen, führen wir die Massnahmen unabhängig von diesem Entscheid ein», betont der Spitaldirektor. Immerhin entspricht die Erhöhung der Lohnsumme um 3,3 Prozent rund 3 Millionen Franken, ohne Kosten für individuelle Lohnanpassungen und neue Stellen. Die Klinik Lengg an der Grenze von Zollikon wird ihren 300 Mitarbeitenden einen Teuerungsausgleich von 4,4 Prozent bezahlen. Sie hat einen gemeinnützigen Auftrag der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung und der Stiftung Zürcher Reha-Zentren. Mit rund 900 stationären und 4500 ambulanten Behandlungen pro Jahr ist sie die grösste auf Epilepsien spezialisierte Klinik der Schweiz.

Wie konnte es soweit kommen, dass unser Spitalwesen an gutem Personal krankt? Vor wenigen Wochen kam etwa das Spital Aarau in die Schlagzeilen. Es hat eine Agentur in Rom beauftragt, die Personal vermittelt. In den Tessiner Spitälern sind schon jetzt rund 60 Prozent des Personals Grenzgängerinnen. Italien rekrutiert das fehlende Personal in Asien, etwa dem Inselarchipel Philippinen. Es sind tüchtige Frauen, Katholikinnen, die weit entfernt von ihren Familien arbeiten müssen. Vor einem Jahr (28. November) hat der Souverän die Volksinitiative «Für eine starke Pflege» mit einem Ja-Anteil von 61 Prozent angenommen. Die Initiative verlangt, dass Bund und Kantone die Pflege anerkennen und fördern. Im Detail sind auch Arbeitsbedingungen und Abgeltung erwähnt. Dennoch geben weiterhin monatlich schätzungsweise 300 Pflegende in der Schweiz ihre Stelle auf, wie der Schweizer Berufsverband warnt. Karrieren im Gesundheitswesen können an unterschiedlichen Symp­tomen kranken: auch an ungenügender Vorbereitung auf die Berufswelt während der Ausbildung.

Kritischer Blick

Werden Kompetenzen, die es im Alltag von Gesundheitsberufen braucht, in den verschiedenen Lehrplänen von Schweizer Fachhochschulen genügend vermittelt? Dieser Frage sind Forschende der Berner Fachhochschule (BFH) nachgegangen (Christoph Golz et al. «Preparing students to deal with the consequences of the workforce shortage among health professionals: a qualitative approach», in: «BMC Medical Education»). Die Studie basiert auf qualitativen Interviews. Ein Symptom sehen die Autoren beim Stress­management und der persönlichen Gesundheitsförderung. Bemängelt wird auch eine unzureichende Wissensvermittlung über Mechanismen der Gesundheitspolitik. Mit diesem Wissen könnte sich ein besseres Verständnis für Löhne, Stellenmarkt­situation ergeben, wie auch eine berufspolitisch bessere Positionierung. Damit ist ein Phänomen angesprochen, dass sich soziologisch als ­Feminisierung eines Berufstandes abzeichnet. Die etwas vereinfachte Formel dafür lautet, je mehr Frauen in einem Beruf, desto tiefer der ­Status, desto tiefer das Einkommen. Dass sich heute auch Männer für den Pflegeberuf interessieren, weckt Hoffnung. Zumal eine verstärkte ­berufspolitische Positionierung in der Ausbildung gefordert ist.

Im Jahr 1858 hat ein politisch konservativer, religiös pietistischer Kreis des gehobenen Zürcher ­Bürgertums die Kranken- und ­Diakonissenanstalt Neumünster im Zollikerberg gegründet. Sie wollten Mängel in der Krankenpflege beheben und unverheirateten Frauen eine berufliche Perspektive und einen gesellschaftlichen Status ­bieten. 40 Jahre später hat der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein (SGF) die «Stiftung Schweizerische Pflegerinnenschule mit Frauenspital» ins Leben gerufen. Frauen konnten sich jetzt auch konfessionsunabhängig in Krankenpflege ausbilden lassen. Der Pflegeberuf als Geschichte von Schweizer Frauen scheint sich gerade neu zu entwickeln. Das sollten die Krankenkassen begreifen und ihre Beschwerde zurückziehen ­zugunsten einer besseren Entlöhnung des Pflegepersonals und eines soliden gesellschaftlichen Status – für das, was 1858 im Zollikerberg begann.

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